Warum normal sein gar nicht so normal ist… und warum reden hilft von Dominique de Marné

„Was hätte der 17-, 21-, 27-jährigen Version von mir geholfen, sich früher Hilfe zu suchen?

[…] inzwischen kenne ich die Antwort: Mir hätte es geholfen, wenn ich früher gewusst hätte, dass ich krank bin.“

Zehn Jahre lang hat Dominique de Marné nicht gewusst, was mit ihr los ist, dass sie mit ihren Beschwerden und Problemen nicht allein ist, dass es Hilfe gibt. In Warum normal sein gar nicht so normal ist erzählt sie von ihrer Depression, ihrer Borderline-Persönlichkeitsstörung und ihrer Alkoholabhängigkeit und erhofft sich durch ihre Offenheit, dass es andere Menschen in ähnlichen Situationen in Zukunft einfacher haben:

„Zu verändern, wie wir über psychische Gesundheit reden, und zu bewirken, dass wir überhaupt darüber sprechen, ist mittlerweile so etwas wie meine Mission geworden.“

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Gebrauchsanweisung für Prag und Tschechien von Martin Becker

„Wir haben die Nazis überlebt. Wir haben den Kommunismus überlebt. Den Kapitalismus überleben wir nicht.“

In seiner Gebrauchsanweisung für Prag und Tschechien erzählt Martin Becker von Milan Kundera und Prager Frühling, Ota Pavel und Bohumil Hrabal, Václav Havel und Sametová revoluce, Malá Strana und Hradčany, Karlovo náměstí und Staroměstské náměstí, Kaffeehauskultur und Gentrifizierung, Ahoj und Meerlosigkeit, Melancholie und Sehnsucht, Brno und Ostrava, Krteček und Paní Bída, Theater und Kneipen, Bier und Smažený sýr, český humor und Sprache, Franz Kafka und Nový židovský hřbitov, Straßenbahn und Metro, Karlovy Vary und Becherovka, Altvatergebirge und Nebel. Gebrauchsanweisung für Prag und Tschechien von Martin Becker weiterlesen

Aufsuchende psychiatrische Arbeit von Klaus Obert, Karin Pogadl-Bakan und Gabriele Rein

„Am Ende eines mehr oder weniger langen Prozesses liegt für den jeweiligen Menschen ein enormer Hilfebedarf vor, ohne in der Lage zu sein, sich angemessene Hilfe und Unterstützung zu holen, und zwar auch dann nicht, wenn die Umgebung dies empathisch einfühlend oder mit Druck einfordert. Zurück bleiben psychisch kranke Menschen in prekärsten Lebenslagen und mit völlig unangemessener Lebensführung. Weitgehend isoliert, sind sie massiv überlastet, vom Hilfesystem alleingelassen, und so entfernen sie sich sukzessive von Angehörigen, Freunden, Nachbarn oder Bekannten.“ (Seite 9f)

Seit ich zum ersten Mal von dem Konzept der aufsuchenden psychiatrischen Arbeit gehört habe, bin ich begeistert von diesem Ansatz, der es auch denjenigen Menschen ermöglicht, psychiatrische Hilfe zu erhalten, die sonst durchs Versorgungsnetz fallen würden. Gleichzeitig habe ich mich oft gefragt, wie es für mich wäre, als professionelle Helferin zu anderen Menschen nach Hause zu gehen – in ihr eigenes Reich, wo Dinge möglicherweise anders laufen, als ich das bevorzugen würde.

Aufsuchende psychiatrische Arbeit von Klaus Obert, Karin Pogadl-Bakan und Gabriele Rein spricht all diese Aspekte und noch viele weitere Facetten dieser besonderen Art von psychiatrischer Tätigkeit an, so dass ich das Buch nicht nur als eine Quelle der Information, sondern auch als Inspiration empfunden habe.

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Spätes Tagebuch. Theresienstadt – Auschwitz – Warschau – Dachau von Max Mannheimer

„Ohne Heim. Ohne Hilfe. Ohne Hoffnung“

Max Mannheimer, Überlebender der Shoa und 2016 im Alter von 96 Jahren verstorben, berichtet von seiner Kindheit in Neutitschein/Tschechoslowakei, vom zunehmenden Antisemitismus in den 1930er Jahren, vom Einmarsch der Deutschen, von der Reichskristallnacht, von der Flucht nach Ungarisch-Brod und schließlich von der Deportation nach Theresienstadt und Auschwitz, wo fast seine ganze Familie umgebracht wurde. Spätes Tagebuch. Theresienstadt – Auschwitz – Warschau – Dachau von Max Mannheimer weiterlesen

Todeskuss mit Zuckerkuss von Alan Bradley

„Jeder Betrug verlangt nach einem Körnchen Wahrheit, wie verdünnt sie auch sein mag.“ (Seite 303)

Beim Anschneiden ihrer Hochzeitstorte findet Flavias Schwester Ophelia („Feely“) mitten im Gebäck einen abgetrennten menschlichen Finger. Feely steht unter Schock, doch Flavia ist ganz in ihrem Element, nimmt den Finger heimlich an sich und untersucht ihn in ihrem Chemielabor.

Es handelt sich um einen ordentlich manikürten Frauenfinger, der nach Formaldehyd riecht. Mit Doggers Hilfe findet Flavia blitzschnell heraus, dass der Finger von einer verheirateten, linkshändigen Gitarrenspielerin stammen muss, und bald kennen die beiden auch einen Namen, denn im August wurde die berühmte Gitarristin Adriana Castelnuovo auf dem nahegelegenen Friedhof von Brookwood beigesetzt.

Der Fall um den gefundenen Finger ist die erste Ermittlung des Detektivbüros „Arthur W. Dogger & Partner“, und so machen sich Flavia und Dogger auf den Weg nach Brookwood. Bald bekommen sie einen weiteren Auftrag, denn eine gewisse Mrs Prill meldet wichtige Briefe als vermisst.

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Gert Westphal liest Franz Kafka. Der Prozess, Erzählungen und Betrachtungen von Franz Kafka (Hörbuch)

„[…] andererseits aber kann die Sache auch nicht viel Wichtigkeit haben. Ich folgere das daraus, daß ich angeklagt bin, aber nicht die geringste Schuld auffinden kann, wegen deren man mich anklagen könnte.“ (Track 8)

Am Morgen seines 30. Geburtstags wird Josef K. in seiner Wohnung von zwei Männern verhaftet, ohne den Grund hierfür zu erfahren und ohne sich einer Schuld bewusst zu sein. Er darf jedoch weiterhin seiner Tätigkeit als erster Prokurist einer großen Bank nachgehen und sich frei bewegen. Gert Westphal liest Franz Kafka. Der Prozess, Erzählungen und Betrachtungen von Franz Kafka (Hörbuch) weiterlesen

Stimmenhören und Recovery von Joachim Schnackenberg und Christian Burr

„Die Grundhaltung der erfahrungsfokussierten Beratung, Stimmenhören als normale menschliche Erfahrung zu akzeptieren, mit der man lernen kann, gut zu leben, und nicht als (nicht verstehbares) Symptom einer Psychose oder einer anderen psychischen Störung zu behandeln, ist für die meisten eine ganz neue, aber sehr bereichernde und ermutigende Erfahrung.“ (Seite 17)

Im Buch, das sich an alle Praktiker im Bereich von Psychiatrie, Psychotherapie und verwandten Fächern und Berufen richtet, geht es u.a. um den Einsatz des sogenannten Maastrichter Interviews, das von Marius Romme und Sandra Escher auf der Basis von Berichten von 400 Stimmenhörenden entwickelt wurde:

„In unserer Forschung und den vielen Kontakten mit Stimmenhörenden stellten wir fest, dass Stimmen in ihrem Leben einen Sinn ergeben. Sie haben eine Verbindung zu persönlichen Problemen. […] Die meisten Stimmenhörenden können mit ihren Stimmen umgehen, nur eine kleine Anzahl braucht fachliche Unterstützung. Wir schlossen daraus, dass Stimmenhören an sich kein Zeichen einer Krankheit darstellt. Allerdings kann man krank werden, wenn man keinen guten Umgang mit den Stimmen findet.“ (Seite 9, Geleitwort von Marius Romme und Sandra Escher)

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Die letzte Metro. Junge Literatur aus Tschechien von Martin Becker und Martina Lisa (Hrsg.)

„Und die letzte Metro ist die schönste Metro von allen. In der letzten Metro, da ist man melancholisch und will nicht, dass die Fahrt aufhört. In der letzten Metro, da ist man oft verliebt und mit dem Kopf ganz woanders. In der letzten Metro, da bleiben manchmal Gedichtbände liegen oder gleich ganze Romanmanuskripte. In der letzten Metro bleibt nur noch die zufriedene Müdigkeit oder die müde Unzufriedenheit, es gibt keine Fortsetzung mehr, denn die Geschichten des Tages sind geschrieben, die wir uns am nächsten Morgen erzählen werden. Die letzte Metro gehört den Originalen.“ (Seite 12)

Martin Becker und Martina Lisa haben Autorinnen und Autoren aus Tschechien zusammengetragen und eine Auswahl ihrer Geschichten in Die letzte Metro veröffentlicht. Ich selbst kannte keinen einzigen der im Buch erwähnten Autoren, lediglich Tereza Semotamová war mir durch ihren Roman Im Schrank, der allerdings noch ungelesen in meinem Regal steht, ein Begriff. Mir haben diese Einblicke in eine mir recht unbekannte Literaturwelt gefallen, zumal ich sehr erstaunt darüber bin, dass hierzulande trotz der räumlichen Nähe zu Tschechien tschechische Autoren kaum bekannt sind.

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Fettnäpfchenführer Spanien. Wie man den Stier bei den Hörnern packt von Lisa Graf-Riemann

„Vielleicht stellen Sie tatsächlich fest, dass Spanien anders ist, als Sie es sich immer vorgestellt haben, auf jeden Fall reicher, vielfältiger und spannender.“ (Seite 10)

Am Beispiel der Sozialwirtin Lena und des Programmierers Tom erzählt Lisa Graf-Riemann von den Fettnäpfchen und Fallstricken, in die man in Spanien geraten kann. Dabei empfand ich Tom als eher unsympathischen Zeitgenossen und Lena als insgesamt sympathischer; gemeinsam ergeben die beiden Reisenden aber eine gute Mischung, die unterhält und informiert.

Graf-Riemann thematisiert in ihrem Fettnäpfchenführer Spanien Regionalsprache und Dialekt, cruasán und Tapas, Brot und Wein, Trinkgeld und geteilte Rechnungen, Händeschütteln und besitos, Telefonieren und Smalltalk, Feilschen und Geburtstagsfeiern, Schinkenmuseum und Stierkampf, ETA und Franco-Diktatur, Zuhören und Unterbrechen, Alleinsein und Flirten, Bedanken und Fluchen, Picknick und Vegetarier, Vollkasko und Vetternwirtschaft, Retiro und Drogenprobleme, Flamenco und Taxifahrten, Mauren und Christen, Glückstrauben und rote Dessous.

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Sechs Koffer von Maxim Biller

„Es gibt schlechten und es gibt guten Verrat.“ (Bertolt Brecht: Flüchtlingsgespräche)

Schmil Grigorewitsch wurde vom KGB verhaftet und hingerichtet. Wurde er von seiner eigenen Familie verraten? Möglich wäre das, denn einige der Familienmitglieder verhalten sich durchaus auffällig, z.B. Schmils Sohn Dima, der fünf Jahre im berühmt-berüchtigten Prager Gefängnis Pankrác einsaß – wo übrigens auch der Regimekritiker und spätere Staatspräsident Václav Havel seine Gefängnisstrafe abbüßte – und sich dort mit dem Geheimdienst einließ. Sechs Koffer von Maxim Biller weiterlesen