Schlagwort-Archive: Lieblingsbücher 2018

Seht, was ich getan habe von Sarah Schmidt (Hörbuch und Buch)

„Es gibt eine Liebe, die sich erst in der Trauer zeigt.“

Vierter August 1892 in Fall River, Massachusetts: Die 32-jährige Lizzie Borden, die unverheiratet ist und mit ihrem Vater, ihrer Stiefmutter und dem Dienstmädchen Bridget zusammenlebt, findet im Erdgeschoss ihres Elternhauses die blutüberströmte Leiche ihres Vaters. Kurz darauf wird zudem der Leichnam von Lizzies Stiefmutter entdeckt. Beide wurden anscheinend mit einem axtähnlichen Gegenstand ermordet.

Lizzie Borden, 1889 (Urheber: anonym, Quelle: Wikipedia)

Bis heute sind die Morde an Andrew und Abby Borden nicht vollständig geklärt, und aufgrund ihrer Faszination für den mysteriösen Kriminalfall machte sich die Autorin Sarah Schmidt auf die Suche nach den Hintergründen der Morde und schrieb schließlich ihren Debütroman Seht, was ich getan habe über die Bordens und den geheimnisvollen 4. August 1892. Seht, was ich getan habe von Sarah Schmidt (Hörbuch und Buch) weiterlesen

Wir sind dann wohl die Angehörigen von Johann Scheerer

„Wie fühlt es sich an, wenn man nichts fühlt?“

Im Rahmen meines Psychologie-Studiums habe ich vor vielen Jahren ein Seminar zum Thema Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) belegt und dort ein Referat über „PTBS nach Folter und politischer Gewalt“ gehalten. Der Professor hatte mir damals zur Vorbereitung u.a. Im Keller von Jan-Philipp Reemtsma ans Herz gelegt, und ich kann mich noch gut erinnern, wie stark mich das Buch beschäftigt hat und dass ich mir viele Sätze angestrichen habe, die ich heute noch auswendig kenne.

Fünfzehn Jahre später habe ich das Buch von Reemtsmas Sohn Johann Scheerer in den Händen gehalten und war gespannt, was der Sohn von der Entführung seines Vaters erzählt, welche Gedanken und Gefühle er mit dem Leser teilt.

Scheerer erzählt in seinem Buch Wir sind dann wohl die Angehörigen nicht nur von der Entführung seines Vaters am 25. März 1996, von den schweren Stunden und Tagen, als Scheerer und seine Mutter kaum zu hoffen wagten, dass Reemtsma überleben wird, sondern er bietet dem Leser auch Einblicke in seine Kindheit, seine Familie und ins Leben mit seinem Vater. Wir sind dann wohl die Angehörigen von Johann Scheerer weiterlesen

Sie sprechen mit der Stasi von Andreas Ammer und FM Einheit (Hörbuch)

„Belege für die Banalität des Bösen“ (Joachim Gauck, Booklet Seite 4)

Sie sprechen mit der Stasi beinhaltet Tonbandaufnahmen des Ministeriums für Staatssicherheit der DDR, die von Andreas Ammer und FM Einheit ausgewählt, geschnitten und mit Musik hinterlegt wurden. Hier erfährt man von Denunzianten und Denunzierten, lauscht Telefongesprächen und Verhören, hört weinende, verängstigte, wütende und rachsüchtige Menschen, lernt aber auch solche kennen, die Widerstand leisteten, z.B. den „Telefonterrormenschen“, der regelmäßig anrief, um die Telefonleitung der Stasi zu belegen.

„Wir hören plötzlich zu, wie die Stasi ein Verhör führte. Wir kennen die Situation gut, aus jedem Kriminalfilm, aber wir haben sie noch nie in ‚Wirklichkeit‘ gehört. […] Wir hören, wie ein Mensch zerbricht: besser, wie er gebrochen wird. Wir hören, wer schuld ist.“ (Andreas Ammer, Booklet Seite 9f) Sie sprechen mit der Stasi von Andreas Ammer und FM Einheit (Hörbuch) weiterlesen

Supertramp von Tamina-Florentine Zuch

„Es geht los. Meine erste Nacht auf der Straße.“ (Seite 26)

Tamina-Florentine Zuch hat sich nach nur drei Wochen Reiseplanung auf den Weg nach New York City gemacht, um von dort aus ihr sechswöchiges Abenteuer anzutreten: Sie möchte – wie die legendären Hobos – mit Güterzügen illegal die USA durchqueren.

Sie macht sich in New York auf die Suche nach jemandem mit Erfahrung, der die richtigen Stellen kennt, dem sie sich anschließen kann. Doch sie hat im Big Apple wenig Glück, fährt mit dem Greyhoundbus nach Philadelphia und startet dort in ihr (bisweilen recht waghalsiges) Abenteuer.

Sie fährt die Ost- und später die Westküste der USA entlang, durchquert wie geplant das Land von Ost nach West, ist auf Güterzügen, in Bussen und per Anhalter unterwegs, schlägt sich allein oder mit verschiedenen Hobos und Reisenden durch, trifft Dirty Kids, Drogen- und Alkoholabhängige, aber auch Leute, die genau wie sie einen zeitlich begrenzten Nervenkitzel und die große Freiheit suchen. Supertramp von Tamina-Florentine Zuch weiterlesen

Und die Vögel werden singen von Aeham Ahmad

„Ich wusste nicht mehr, wie ich helfen konnte, also habe ich mein Klavier mit in die Gassen genommen und begonnen, Lieder zu spielen, um den Menschen Mut zu machen.“ (Seite 257)

Aeham Ahmad, in Damaskus geboren und im Damaszener Vorort Yarmouk aufgewachsen, wurde schon früh von seinem Vater musikalisch gefördert. Was von Ahmad anfangs oft als Belastung empfunden wurde, wandelte sich schließlich zu einer Leidenschaft fürs Klavierspielen und für die Musik und wurde nach Ausbruch des Krieges in Syrien letztendlich zu einer Überlebensstrategie und einer Möglichkeit, sich selbst und anderen Menschen Mut und Hoffnung zu schenken, beim Durchhalten, Weiterkämpfen und Überleben zu helfen. Und die Vögel werden singen von Aeham Ahmad weiterlesen

Häuser aus Sand von Hala Alyan

„Die Sehnsucht nach dem Vergangenen ist eine Qual. […] Das Verlangen nach dem, was verschwunden ist, kann einen Menschen hinwegraffen wie Fieber oder Krebs. Nicht nur die unerträglichen Verluste, auch die kleinen Dinge.“ (Seite 99)

Hala Alyan erzählt in Häuser aus Sand, ihrem ersten Roman, der auf Deutsch erschienen ist, von der Familie Yacoub, die ursprünglich aus Jaffa stammt, aber im Zuge der Gründung des Staates Israel aus ihrer Heimat vertrieben wurde.

Die Geschichte um die Yacoubs beginnt mit Salma, die sich nach dem Verlust ihrer Villa und ihrer Orangenplantage in Jaffa zusammen mit ihrem Mann Hussam und ihren drei Kindern ein neues Leben in Nablus aufbaut. Die Traurigkeit, die der Verlust der Heimat in Salma und Hussam auslöst, zieht sich auch durch die nachfolgenden Generationen, die immer und immer weiterziehen müssen, deren Leben durch Vertreibung und Kriege, aber auch durch Heirat und Studium stets an einen neuen Ort verlegt werden muss, wo die einzelnen Familienmitglieder mehr oder weniger Fuß fassen können. Häuser aus Sand von Hala Alyan weiterlesen

Ein Jahr in Prag von Corinna Anton

>>“Zschaaaaschzschzschoooooschzschschzaaaasch“ höre ich und schaue die anderen Wartenden fragend an.<<

Nach mehreren Prag-Aufenthalten beschließt Corinna Anton, dass sie für längere Zeit in der Stadt leben möchte, und nimmt eine Stelle bei der deutschsprachigen „Prager Zeitung“ an.

In Ein Jahr in Prag erzählt Anton von Vegetariern und Abstinenzlern, Karlovo náměstí und Malostranské náměstí, Tramvaj und Metro, Žižkov und Altstädter Ring, Samtene Revolution und Prager Frühling, Chlebíčky und Rohlíky, Moldau und Náplavka-Ufer, Becherovka und Bier, Jan Hus und Bohumil Hrabal, Karpfen und Rybovka, Prager Unterwelt und Burgwache, Großstadtimker und Rondokubismus, Karel Gott und Soldat Schwejk, echten Kerlen und Geschlechterrollen, Fahrradfahren und Wochenendhaus, Doppelkopf und Segway, Vyšehrad und Bílá hora. Ein Jahr in Prag von Corinna Anton weiterlesen

Der lange Weg zur Freiheit von Nelson Mandela (Hörbuch)

„Wir sind Sklaven in unserem eigenen Land. Wir sind Pächter auf unserer eigenen Erde. Wir haben keine Kraft, keine Macht, keine Kontrolle über unser eigenes Geschick im Land unserer Geburt.“ (Track 12)

Nelson Mandela schrieb während seiner Haft auf Robben Island heimlich das Manuskript seiner Autobiografie Der lange Weg zur Freiheit. Im Jahre 1976 wurde das Manuskript aus dem Gefängnis geschmuggelt und durch Interviews, die der US-amerikanische Journalist Richard Stengel ab 1992 mit Mandela führte, ergänzt.

Die englische Fassung der Autobiografie erschien erstmals 1994 unter dem Titel Long walk to freedom in den USA und Großbritannien und im gleichen Jahr in deutscher Übersetzung.

Nun ist im Hörverlag das ungekürzte Hörbuch erschienen, das von Thomas Balou Martin gelesen wird, und da Der lange Weg zur Freiheit schon lange ungelesen in meinem Regal stand, habe ich die Gelegenheit ergriffen, mir das Buch vorlesen zu lassen. Der lange Weg zur Freiheit von Nelson Mandela (Hörbuch) weiterlesen

Tod dem Helfer von Kilian Kleinschmidt

„Ich möchte erzählen, wie es angefangen hat. Wie der Horror in mein Leben kam, die Geister, die Toten und warum ich ihnen die Tür immer wieder weit aufgemacht, sie willkommen geheißen habe, wie alte Bekannte.“ (Seite 9)

Ich habe die Angewohnheit, kurz vor dem Schlafen noch die erste Seite eines neuen Buches anzulesen. Eines Nachts habe ich genau dies mit Tod dem Helfer vorgehabt, aber eine Stunde später – es war bereits 1:30 – war ich immer noch wach, das Büchlein ausgelesen und ich so aufgewühlt, dass ich nicht schlafen konnte.

Kilian Kleinschmidt, der mir schon durch sein großartiges Buch Beyond Survival ein Begriff war, hat mich von der ersten Seite an beeindruckt. Mit seiner gnadenlosen Ehrlichkeit, mit der er von seinem emotionalen Erleben spricht, entblößt sich der Autor regelrecht vor dem Leser, macht sich dadurch angreifbar und verwundbar. Tod dem Helfer von Kilian Kleinschmidt weiterlesen

Patria von Fernando Aramburu (Hörbuch)

„Bittori, um der Liebe Jesu Willen, warum steckst du deinen Finger in diese Wunde? Da hab ich ihm geantwortet: Um den ganzen Eiter herauszupulen, der da noch drinnen steckt. Sonst schließt sie sich nie.“

Bittori und Miren – einst beste Freundinnen, die zusammen ins Kloster gehen wollten, aber schließlich beide 1963 geheiratet haben – haben sich voneinander entfremdet: Während Bittoris Ehemann Txato vor über 20 Jahren von Terroristen der Euskadi Ta Askatasuna (ETA) erschossen wurde, sitzt Mirens Sohn Joxe Mari wegen seiner ETA-Aktivität im Gefängnis.

Seit seinem gewaltsamen Tod besucht Bittori regelmäßig das Grab Txatos und spricht mit ihm. Nun hat sie eine Entscheidung getroffen, mit der sie ihn konfrontieren möchte: Sie will am selben Abend in ihr altes Haus zurückkehren, das sie nach seiner Ermordung verlassen hat.

Bittoris Wiederauftauchen im Dorf sorgt für Aufregung bei den Bewohnern, vor allem bei Miren, die der alten Freundin nur noch ablehnende und feindliche Gefühle entgegenbringt. Patria von Fernando Aramburu (Hörbuch) weiterlesen