Schlagwort-Archive: psychische Störungen

Das Lächeln meiner Mutter von Delphine de Vigan

„Wahrscheinlich hatte ich gehofft, aus diesem seltsamen Material würde sich eine Wahrheit herausschälen. Aber es gab keine Wahrheit. Ich hatte nur verstreute Bruchstücke, und schon das Ordnen dieser Bruchstücke war eine Fiktion. […] Was versuchte ich eigentlich, wenn nicht dem Schmerz meiner Mutter näherzukommen, seinen Umfang, seine versteckten Winkel und den Schatten, den er warf, zu erkunden?“ (Seite 39)

Delphine de Vigan findet die Leiche ihrer Mutter Lucile in deren Wohnung, wo sie mehrere Tage lag, ohne dass jemand von ihrem Tod wusste. Nach langem Ringen mit sich entscheidet sie sich dafür, über ihre Mutter zu schreiben, befragt Familienangehörige, liest Briefe, hört Tonbandkassetten an, möchte verstehen, warum sich Lucile suizidiert hat. Das Lächeln meiner Mutter von Delphine de Vigan weiterlesen

Morgen bin ich ein Löwe von Arnhild Lauveng

„Früher verbrachte ich meine Tage als Schaf,
während sich alles in mir danach sehnte, über die
Savanne zu jagen.
Und ich ließ mich treiben, vom Pferch auf die Weide
und wieder in den Stall, wenn sie sagten, das sei für
ein Schaf so das Beste.
Und ich wusste, dass das falsch war.
Und ich wusste, dass es so nicht ewig gehen würde.

Früher verbrachte ich meine Tage als Schaf.
Aber morgen bin ich ein Löwe.“ (Seite 9)

Arnhild Lauveng war schizophren. Dies ist eine Phrase, die es in der Psychiatrie eigentlich nicht gibt, denn entweder ist man schizophren oder man ist es nicht. Man hat bestensfalls ein symptomfreies Intervall, aber die F20, mit der die Schizophrenie in der ICD-10 verschlüsselt ist, ist eine sogenannte Lebenszeitdiagnose, die man im Normalfall nie wieder los wird, auch wenn man nur eine einzige schizophrene Episode im Leben gehabt haben sollte.

Lauveng hat es jedoch geschafft, diese Diagnose wieder los zu werden (auch wenn es einige Menschen gibt, die das nicht akzeptieren möchten und/oder an einer initialen Schizophrenie-Diagnose zweifeln), nachdem sie insgesamt 6-7 Jahre ihres Lebens in psychiatrischen Kliniken verbracht hat. Morgen bin ich ein Löwe von Arnhild Lauveng weiterlesen

Reisen in die Welt des Wahns von Achim Haug

„Es ist auch eine Geschichte über das, was sicher ist, und das, was wir nur für sicher halten. […] Wenn der eine oder andere Leser vielleicht am Schluss selbst etwas verunsichert ist, würde mich das freuen, denn dies bringt uns näher an das Verständnis von Menschen mit Wahn.“ (Seite 7)

Achim Haug, emeritierter Professor für Psychiatrie, erzählt in Reisen in die Welt des Wahns anhand von vier Fallgeschichten von unterschiedlichen Facetten psychotischen Erlebens sowie von psychologischen Grundlagen bezüglich Wahrnehmen, Denken usw.

Er berichtet u.a. von kognitiver Dissonanz, Vulnerabilitäts-Stress-Modell der Schizophrenie, Suizidalität, Praecox-Erleben, schizotyper Persönlichkeitsstörung, Karl Jaspers, doppelter Buchführung, formalen Denkstörungen, Wahnstimmung, Wahnarbeit, Wahneinfall, Wahnwahrnehmung, bizarrem Wahn in der Schizophrenie, Wahndynamik, Jumping-to-Conclusions-Bias, Ich-Störungen, Wahnursachen, Wahnentwicklung, Capgras-Syndrom und Behandlung von Wahn. Reisen in die Welt des Wahns von Achim Haug weiterlesen

Umgang mit suizidgefährdeten Menschen von Michael Eink und Horst Haltenhof

„Der Tod geht uns nichts an. Solange wir existieren, ist der Tod nicht da, und wenn der Tod da ist, existieren wir nicht mehr.“ (Seite 10, Zitat von Lukrez)

Ich bin Psychologin und komme deshalb immer wieder mit Suizidalität in Kontakt, doch ich finde das Thema Suizid nicht nur aus beruflicher Sicht relevant, sondern auch aus persönlichen Gründen, da ich weiß, in welchen Abgrund man durch den Suizid eines nahestehenden Menschen gerissen wird.

Ich finde, dass man über Selbsttötung offener sprechen muss, um Menschen in Extremsituationen kompetente Hilfe anbieten, mit Vorurteilen und falschen Überzeugungen aufräumen und Menschen, die jemanden durch Suizid verloren haben, eine emotionale Stütze geben zu können, denn der Verlust durch Suizid ist meiner Meinung nach anders als ein Verlust durch schwere körperliche Krankheit oder einen Unfall und hinterlässt bei den Angehörigen oft eine tiefe Schuld, eine ausgeprägte Wut und/oder ein völliges Unverständnis. Umgang mit suizidgefährdeten Menschen von Michael Eink und Horst Haltenhof weiterlesen

Der Zahlendieb. Mein Leben mit Zwangsstörungen von Oliver Sechting

„Das seltsame Gefühl wurde zu Angst. Aus der einfachen Regel […] wurde ein Regelwerk, dessen Vorschriften mir unkontrolliert in den Sinn kamen und ihre strikte Befolgung verlangten.“ (Seite 34)

Oliver Sechting beginnt recht früh damit, Stifte etc. nach einer bestimmten Ordnung zu sortieren und das Treten auf Fugen zu vermeiden, doch nach dem Entdecken der eigenen Homosexualität und dem Tod des Vaters verstärken sich diese leichteren Auffälligkeiten, werden drängend, bekommen eine starke emotionale Komponente und sind an ein komplexes und starres Regelwerk gekoppelt, dessen Verletzung extreme Ängste auslöst.

Die Angst übernimmt Sechtings Leben. Sie taucht in immer neuen Situationen auf, dominiert seinen Alltag, und mit der Angst kommen mehr und mehr Zwangshandlungen, mit denen er versucht, die Angst zu reduzieren.

Im Laufe seines Lebens fluktuieren Sechtings Angst und seine Zwangshandlungen, sind abhängig von äußeren Einflüssen und depressiven Phasen, aber sie holen ihn immer wieder ein, lähmen ihn und reißen ihn aus seinem Alltag. Der Zahlendieb. Mein Leben mit Zwangsstörungen von Oliver Sechting weiterlesen

Raum 4070/Psychosen verstehen

„Was nach außen so konfus aussieht, ist innen immer stimmiger.“

Es ist schwer einfühlbar, was eine Psychose ausmacht und was in den Betroffenen vorgeht, weil dies für jemanden ohne Psychoseerfahrung allzu weit weg ist vom täglichen Leben und Erleben, Denken und Fühlen. Ich persönlich halte es allerdings für sehr wichtig, sich auch als Laie mit der Thematik auseinanderzusetzen, weil vor allem Psychosen aus dem schizophrenen Formenkreis oft falsch verstanden, Psychoseerfahrene ausgegrenzt und isoliert werden. Soziale Unterstützung und Verständnis sind jedoch extrem wichtig, weil durch Psychosen sehr viel Leid verursacht wird und weil soziale Unterstützung essentiell für die Lebensqualität und damit nicht zuletzt für die Prognose ist.

Raum 4070/Psychosen verstehen basiert auf einem Potsdamer Psychoseseminar, bei dem sich Psychoseerfahrene, Angehörige und Professionelle regelmäßig treffen und gemeinsam psychoserelevante Themen besprechen. Diese trialogischen Treffen gibt es deutschlandweit, und ich halte das Projekt für sehr unterstützenswert und wichtig. Raum 4070/Psychosen verstehen weiterlesen

Monatsthema „Psychische Störungen“ im Februar 2019

Im echten Leben bin ich – wie einige sicher wissen – Psychologin, aber auch als Privatperson finde ich es wichtig, mehr über psychische Störungen aufzuklären, Laien mehr Wissen zu einzelnen Erkrankungen zu vermitteln und ein bisschen dazu beizutragen, dass Menschen mit psychischen Störungen weniger ausgegrenzt und besser verstanden werden. Aus diesem Grunde habe ich mich bereits im September 2018 zu einem Monatsthema über psychische Störungen entschlossen, und nun ist es endlich soweit. Monatsthema „Psychische Störungen“ im Februar 2019 weiterlesen

Miss Everest von Bonita Norris

„Physisch hatte ich keine Energie mehr, keine Fettreserven oder Kalorien aus der Nahrung, ich hatte nichts getrunken und nicht geschlafen. Ich hatte einzig das Versprechen an mich selbst, dass ich ganz bestimmt dorthin gelangen würde, wo ich schon so lange hin wollte. Dafür musste ich nur weiter die kleinen Schritte machen.“ (Seite 160)

Mit Beginn der Pubertät entwickelt Bonita Norris eine Bulimia nervosa, die sie mehrere Jahre begleitet, bis sich die Britin darauf besinnt, was ihr früher gut getan hat: das Laufen. Sie beginnt wieder mit Langstreckenläufen, lässt die Bulimia nervosa zurück und steigert ihre Leistung immer mehr.

Als Norris einen Vortrag über eine Mount Everest-Besteigung besucht, wächst in ihr die Idee, dass sie selbst zum höchsten Berg der Erde aufbrechen möchte, obwohl sie noch nie auf einem Berg stand. Doch sie hält unbeirrbar an ihrem Traum fest, lernt Klettern und nähert sich so Schritt für Schritt dem Mount Everest.

Im Jahre 2009 bricht die 21-jährige Norris schließlich auf zum Manaslu, dem achthöchsten Berg der Erde. Es ist ihr erster 8000er und eine Art Generalprobe für den Mount Everest, den sie im Jahr darauf besteigt. Miss Everest von Bonita Norris weiterlesen

Out of the Woods. A Journey Through Depression and Anxiety von Brent Williams

„In the middle of the journey of my life…
I found myself in a dark wood…
where the way was lost.“
(The Divine Comedy, Dante Alighieri 1265-1321)

Brent Williams erzählt in Out of the woods von den Symptomen seiner drei depressiven Episoden, die im Buch zeitlich gerafft wurden, und bietet so zum einen Einblicke in die Psychopathologie depressiver Störungen, zum anderen in seine persönliche Erlebens-, Gefühls- und Gedankenwelt. Out of the Woods. A Journey Through Depression and Anxiety von Brent Williams weiterlesen

Tage ohne Hunger von Delphine de Vigan

„Und dann hatte sich die Kälte in ihr ausgebreitet, eine unglaubliche Kälte. Diese Kälte, die ihr sagte, dass sie am Ende angelangt war, dass sie zwischen Leben und Sterben wählen musste.“

Laure, die Hauptprotagonistin in Delphine de Vigans neuestem Roman Tage ohne Hunger, leidet an Anorexia nervosa und hungert sich buchstäblich zu Tode, kann kaum noch aus dem Haus gehen, zieht sich von Freunden zurück.

Erst als sich eine schier unerträgliche Kälte in ihrem Körper ausbreitet, sie deshalb unzählige Lagen an Kleidung tragen und Stunden am Heizkörper verbringen muss, sucht sie sich Hilfe und lässt sich auf einen Termin mit einem Spezialisten für Essstörungen ein. Einen Krankenhausaufenthalt schließt sie jedoch nach wie vor aus:

„Es war noch zu früh, obwohl ihr eigentlich keine Zeit mehr blieb.“ Tage ohne Hunger von Delphine de Vigan weiterlesen