Archiv der Kategorie: Psychische Störungen

Ida von Katharina Adler (Hörbuch)

„Er zweifle nicht daran, dass sie einen Zweck im Auge habe, den sie durch ihre Krankheit zu erreichen hoffe.“ (CD 6, Track 10)

Die 58-jährige Ida Adler, geborene Bauer, hat ihre Heimatstadt Wien vor über zwei Jahren verlassen und erreicht im Jahre 1941 New York City, von wo aus sie weiterreist nach Chicago, um bei ihrem Sohn und seiner Frau unterzukommen. Sie ist eine nörgelnde, taktlose, anstrengende Frau, die an keinem ein gutes Haar lässt, doch durch Rückblenden erfährt der Leser bald, weshalb Ida Adler so verbittert ist, was sie in ihrem Leben erfahren und erleiden musste.

Der Leser taucht im weiteren Verlauf des Buches immer tiefer in die Biografie Ida Adlers ein, hört von der schwierigen Familiengeschichte, vom Leben mit eigenen Krankheiten und kranken Familienmitgliedern sowie von den Veränderungen in Österreich und Europa im Zuge des immer weiter erstarkenden Nationalsozialismus. Zentral im Roman ist zudem die Behandlung Ida Adlers durch Sigmund Freud, dessen Fallgeschichte „Dora“ berühmt geworden ist, in der er Ida Adlers Krankengeschichte anonymisiert darlegte. Ida von Katharina Adler (Hörbuch) weiterlesen

Nur das Leben war dann anders: Nekrolog auf meinen pädophilen Vater von Dominik Riedo

„Schon öfters hatte ich gesagt, dass ich lieber sterben als Weiterleben möchte. In Wirklichkeit möchte ich tatsächlich lieber weiterleben, aber unter anderen Bedingungen.“ (Seite 63)

Nach dem Tod seines Vaters setzt sich Dominik Riedo ausführlich mit der Pädophilie seines Vaters auseinander, zeichnet durch Tagebucheinträge und Briefe des Vaters, psychiatrische Gutachten, Polizei- und Gerichtsprotokolle und Zeitschriftenartikel sowie eigene Beobachtungen und Erfahrungen im Zusammenleben und im Alltag mit dem Vater ein komplexes Bild von ihm und seinen pädophilen Neigungen.

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Medikamentenreduktion und Genesung von Psychosen von Jann E. Schlimme, Thelke Scholz und Renate Seroka

„Das Leitmotiv der ärztlichen Profis sollte lauten: Wer ansetzt, muss auch wissen, wie er oder sie absetzt!“ (Seite 83)

„Langfristig plombieren die Neuroleptika die betreffende Person oftmals derart, dass sie von ihren eigenen Bedürfnissen, Gefühlen und Wünschen abgeschnitten ist und eigene Belastungsgrenzen, Ängste und Sehnsüchte nicht adäquat wahrnehmen kann.“ (Seite 27)

Jann E. Schlimme (Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie), Thelke Scholz (Expertin durch Erfahrung) und Renate Seroka (Angehörige) bieten in ihrem Buch Medikamentenreduktion und Genesung von Psychosen Informationen zum Genesungsprozess und zu Psychopharmaka, benennen die Herausforderungen, denen man sich beim Reduzieren stellen muss, beschreiben detailliert den Reduktionsprozess, stellen bedeutungsdosierte Sozialräume und Abschalttechniken vor und gehen schließlich darauf ein, wie es nach dem Absetzen weitergeht bzw. warum man manchmal nicht vom letzten Krümel der Medikamente loskommt.

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Irrenhäuser. Kranke klagen an. Reprint der Ausgabe von 1969 von Frank Fischer

„Warum ein fast 50 Jahre altes Taschenbuch erneut publizieren, das die menschenunwürdige Anstaltsversorgung analysiert, die Vergangenheit ist und die sich heute kaum noch jemand vorstellen kann? Aber wenn wir diese überwundene Vergangenheit dem Vergessen überlassen, dann fördert das die Gefahr der Rückkehr von menschenunwürdigen Versorgungsformen in anderer Gestalt.“ (Seite VII)

Ausgelöst durch den Besuch eines Bekannten in einer psychiatrischen Anstalt, der mit Verdacht auf eine Schizophrenie eingeliefert wurde, untersucht Frank Fischer schließlich – in Wallraffscher Manier – die Zustände in Anstalten und die Bedingungen der Insassen. Er schleust sich hierfür als Hilfspfleger in sieben verschiedenen psychiatrischen Krankenhäusern ein und verbringt so fast ein Jahr in Anstalten in Deutschland, England und Österreich.

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Experten für Eigensinn von Jo Becker und Daniela Schlutz

„In jeder Region gibt es einige wenige, in der Helferszene gut bekannte Menschen, die als „besonders schwierig“ bezeichnet werden, als „Systemsprenger“, weil sie die Regeln und Grenzen einer Einrichtung regelmäßig überschreiten, oder als Klienten mit „herausforderndem Verhalten“. Was macht diese Menschen so besonders?

Sie sind nicht immer besonders schwer erkrankt. Die meisten würden sich selbst auch keineswegs als „schwierig“ bezeichnen. Wir Fachleute sind es, die sie so erleben – salopp gesagt, weil sie uns besonders viel Arbeit, Ärger oder manchmal auch Angst bereiten. Mit ihrem Verhalten fordern sie uns heraus, Hilfe zu leisten, während sie es gleichzeitig ablehnen, Psychopharmaka einzunehmen, abstinent zu leben oder die Hausordnung einzuhalten. In der Beziehung zu uns erleben wir sie als unkooperativ. Betrachtet man sie dagegen unabhängig von unseren Anforderungen und Normen, sind es Menschen mit einem starken Willen zur Selbständigkeit. Sie haben eigene Vorstellungen vom Leben und verfolgen diese hartnäckig. Sie sind Experten für Eigensinn.“ (Seite 8)

Im Buch werden 20 Menschen mit herausforderndem Verhalten vorgestellt, die an Schizophrenie, Borderline-Persönlichkeitsstörung, Depression, Substanzmissbrauch/-abhängigkeit, Zwangsstörung, sozialer Phobie bzw. schizoaffektiver Psychose erkrankt sind.

Der Leser erfährt dabei mehr über die Lebens- und Krankheitsgeschichte der einzelnen Personen, lernt aber auch die Sichtweise von Angehörigen und Professionellen kennen, so dass der Mensch mit dem sogenannten herausfordernden Verhalten von mehreren Seiten beleuchtet, seine Aktionen, Reaktionen etc. aus verschiedenen Perspektiven betrachtet werden.

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Im Schrank von Tereza Semotamová

„Auf dem Weg verfange ich mich in unsichtbaren Spinnennetzen von Elend und Trostlosigkeit und versinke in Schwermut. Nun ist es also erledigt, geschafft. Es gibt keinen Ausweg mehr. Heute erwartet mich meine erste Nacht im Schrank.“ (Seite 31)

Eine junge Frau lässt ihr Leben in Deutschland hinter sich und kehrt zurück in ihre tschechische Heimat. Hinter ihr liegen Ereignisse, von denen der Leser erst spät im Roman Details erfährt, die jedoch dazu geführt haben, dass sie den Boden unter den Füßen verloren hat, dass sie nicht mehr zurück in ihren Alltag, in ihre Gewohnheiten und Routinen findet.

Sie kommt zuerst bei ihrer Freundin Jana unter, doch bald merkt sie, dass sie Raum für sich und Abstand von anderen Menschen braucht, und so zieht sie kurzerhand in einen alten Schrank, den sie von ihrer Schwester übernimmt und den sie – heimlich und sichtgeschützt – in einer Hinterhofecke abstellt.

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Umgang mit wahnkranken Menschen von Petra Garlipp und Horst Haltenhof

„Es sind also am ehesten das „Nichteinschätzbare“, das „Unheimliche“, das „Nicht- oder Schwernachvollziehbare“ und der Aspekt des „Unvorhersehbaren“, das uns im Kontakt mit wahnkranken Menschen verunsichert und ängstigt, gleichzeitig aber auch neugierig macht und nicht zuletzt fasziniert.“ (Seite 12)

Petra Garlipp und Horst Haltenhof erklären in Umgang mit wahnkranken Menschen zum Einstieg, was ein Wahn ist, bevor sie auf die Terminologie im Zusammenhang mit Wahn eingehen und Begriffe wie Wahneinfall, Wahnwahrnehmung, Wahnstimmung, Wahnerinnerung, Wahnsystem und Wahndynamik näher erklären.

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Warum normal sein gar nicht so normal ist… und warum reden hilft von Dominique de Marné

„Was hätte der 17-, 21-, 27-jährigen Version von mir geholfen, sich früher Hilfe zu suchen?

[…] inzwischen kenne ich die Antwort: Mir hätte es geholfen, wenn ich früher gewusst hätte, dass ich krank bin.“

Zehn Jahre lang hat Dominique de Marné nicht gewusst, was mit ihr los ist, dass sie mit ihren Beschwerden und Problemen nicht allein ist, dass es Hilfe gibt. In Warum normal sein gar nicht so normal ist erzählt sie von ihrer Depression, ihrer Borderline-Persönlichkeitsstörung und ihrer Alkoholabhängigkeit und erhofft sich durch ihre Offenheit, dass es andere Menschen in ähnlichen Situationen in Zukunft einfacher haben:

„Zu verändern, wie wir über psychische Gesundheit reden, und zu bewirken, dass wir überhaupt darüber sprechen, ist mittlerweile so etwas wie meine Mission geworden.“

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Aufsuchende psychiatrische Arbeit von Klaus Obert, Karin Pogadl-Bakan und Gabriele Rein

„Am Ende eines mehr oder weniger langen Prozesses liegt für den jeweiligen Menschen ein enormer Hilfebedarf vor, ohne in der Lage zu sein, sich angemessene Hilfe und Unterstützung zu holen, und zwar auch dann nicht, wenn die Umgebung dies empathisch einfühlend oder mit Druck einfordert. Zurück bleiben psychisch kranke Menschen in prekärsten Lebenslagen und mit völlig unangemessener Lebensführung. Weitgehend isoliert, sind sie massiv überlastet, vom Hilfesystem alleingelassen, und so entfernen sie sich sukzessive von Angehörigen, Freunden, Nachbarn oder Bekannten.“ (Seite 9f)

Seit ich zum ersten Mal von dem Konzept der aufsuchenden psychiatrischen Arbeit gehört habe, bin ich begeistert von diesem Ansatz, der es auch denjenigen Menschen ermöglicht, psychiatrische Hilfe zu erhalten, die sonst durchs Versorgungsnetz fallen würden. Gleichzeitig habe ich mich oft gefragt, wie es für mich wäre, als professionelle Helferin zu anderen Menschen nach Hause zu gehen – in ihr eigenes Reich, wo Dinge möglicherweise anders laufen, als ich das bevorzugen würde.

Aufsuchende psychiatrische Arbeit von Klaus Obert, Karin Pogadl-Bakan und Gabriele Rein spricht all diese Aspekte und noch viele weitere Facetten dieser besonderen Art von psychiatrischer Tätigkeit an, so dass ich das Buch nicht nur als eine Quelle der Information, sondern auch als Inspiration empfunden habe.

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Stimmenhören und Recovery von Joachim Schnackenberg und Christian Burr

„Die Grundhaltung der erfahrungsfokussierten Beratung, Stimmenhören als normale menschliche Erfahrung zu akzeptieren, mit der man lernen kann, gut zu leben, und nicht als (nicht verstehbares) Symptom einer Psychose oder einer anderen psychischen Störung zu behandeln, ist für die meisten eine ganz neue, aber sehr bereichernde und ermutigende Erfahrung.“ (Seite 17)

Im Buch, das sich an alle Praktiker im Bereich von Psychiatrie, Psychotherapie und verwandten Fächern und Berufen richtet, geht es u.a. um den Einsatz des sogenannten Maastrichter Interviews, das von Marius Romme und Sandra Escher auf der Basis von Berichten von 400 Stimmenhörenden entwickelt wurde:

„In unserer Forschung und den vielen Kontakten mit Stimmenhörenden stellten wir fest, dass Stimmen in ihrem Leben einen Sinn ergeben. Sie haben eine Verbindung zu persönlichen Problemen. […] Die meisten Stimmenhörenden können mit ihren Stimmen umgehen, nur eine kleine Anzahl braucht fachliche Unterstützung. Wir schlossen daraus, dass Stimmenhören an sich kein Zeichen einer Krankheit darstellt. Allerdings kann man krank werden, wenn man keinen guten Umgang mit den Stimmen findet.“ (Seite 9, Geleitwort von Marius Romme und Sandra Escher)

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