„[…] dass es lebenswichtig ist, wer die Kugel abfeuert, die das Tier tötet. Denn darin liegt der Unterschied zwischen Gut und Böse: wem der Finger gehört, der den Abzug drückt.“ (Seite 57f)
John Hunter White – ein reicher und erfolgreicher Amerikaner – ist seit seiner Kindheit begeisterter Jäger und hat eine besondere Leidenschaft für die Großwildjagd. Nun hat er endlich eine der raren Jagdlizenzen ergattert, die ihm den Abschuss eines Nashorns erlaubt und mit der er die Big Five (Elefant, Nashorn, Kaffernbüffel, Löwe, Leopard) voll machen kann.
Hunter durchstreift mit Herbert van Heeren, einem Jagdleiter und Berufsjäger, der über die Jahre ein Freund Hunters geworden ist, und Fährtenlesern die afrikanische Savanne und sucht nach Spuren des Spitzmaulnashorns, das er schießen darf.
Zwar kommt Hunter dem Tier nah, doch er kann den Bullen in diesem Moment nicht schießen, verliert ihn wieder aus den Augen, und später findet er „sein“ Nashorn: erschossen von Wilderern.
Hunters Enttäuschung ist groß, doch dann erzählt ihm van Heeren von den Big Six und bietet Hunter etwas ganz Neues, etwas ebenso Schockierendes wie Verlockendes an.
Trophäe hat mich mitgenommen ins dunkle Herz Afrikas, hat mich fasziniert, aber ebenso sehr angeekelt. Gaea Schoeters hat es möglich gemacht, dass ich für ein paar Stunden in die afrikanische Savanne eingetaucht bin, dass ich mit Hunter auf Jagd gegangen bin und dass ich seiner Argumentation für die Großwildjagd zeitweise fast auf den Leim gegangen bin, obwohl ich normalerweise keinen einzigen Grund akzeptiere, warum reiche Westler Tiere in Afrika jagen sollten und dürften.
Trophäe liest sich atemlos, und es gibt im gesamten Buch keine einzige Stelle, die langatmig gewesen ist, aber auch keine Stelle, die ich überdramatisiert fand. Hier ist alles vollkommen stimmig, und selten habe ich ein Buch gelesen, das mich einerseits so abstößt, andererseits so in Beschlag nimmt, und das zudem sprachlich so meisterhaft ist. Schoeters Spannungsbogen ist schlichtweg großartig, und ich fand auch die Personen extrem gut charakterisiert.
Dieses Buch – eines meiner Lieblingsbücher 2024 (oder vielleicht auch DAS Lieblingsbuch 2024) – hat mir wieder Lust auf eine Beschäftigung mit Afrika gemacht, eine Leidenschaft, die ich seit meiner Kindheit habe, aber die in den letzten Jahren ein wenig eingeschlafen ist.
Drei Monate, nachdem ich diesen grandiosen Roman gelesen habe, habe ich ihn nochmals als Hörbuch gehört, weil ich beim Lesen so begeistert von Trophäe war und das Buch nochmals erleben wollte.
Auch beim Hören hat mir Schoeters’ Roman sehr gut gefallen, ich empfand ihn sogar als noch intensiver, vielleicht aus dem Grund, weil ich schon wusste, wie die Geschichte sich weiter entwickelt und wie sie endet. Was bei anderen Romanen langweilig sein kann, weil die Spannung nachlässt, wenn man weiß, was im Verlauf noch passiert, war hier das Gegenteil: Die Geschichte hat mich noch mehr mitgerissen, ich habe Gespräche und Geschehnisse in anderem Licht gesehen, weil ich wusste, was danach kommen wird.
Das Hörbuch wird von Johann von Bülow auf ansprechende und eindringliche Weise gelesen. Er gibt der Geschichte die passende Stimme und die passende Dramatik.
Ein wirklich meisterhaftes Buch und Hörbuch!
Gaea Schoeters: Trophäe. Aus dem Niederländischen von Lisa Mensing. Paul Zsolnay Verlag, 2024, 256 Seiten; 24 Euro.
Gaea Schoeters: Trophäe. Aus dem Niederländischen von Lisa Mensing. Ungekürzte Lesung von Johann von Bülow. Argon Verlag, 2024; 20,95 Euro.