Schlagwort-Archive: Roman

Lincoln im Bardo von George Saunders

„Es ist schwer, so schwer, ihn gehen zu lassen!“ (Seite 64)

Willie Lincoln, der dritte Sohn des Präsidenten Abraham Lincoln, starb am 20. Februar 1862 im Alter von 11 Jahren an Typhus.

In der Nacht nach der Beerdigung auf dem Oak Hill Cemetery in Georgetown kehrt der trauernde Präsident zurück auf den Friedhof, betritt die Gruft und öffnet den Sarg, um den geliebten Sohn ein letztes Mal im Arm zu halten.

Willie befindet sich im Bardo, laut tibetanischer Lehre das Reich zwischen Diesseits und Jenseits, und mit dem Besuch des Vaters auf dem Friedhof erwachen die Geister der Toten, der Geschichte und der Literatur und sprechen miteinander über den Vater, den Sohn, die Krankheit, den Tod, das Nicht-Verstehen des tragischen Verlusts eines wichtigen Menschen, die Liebe. Lincoln im Bardo von George Saunders weiterlesen

Der Scheiterhaufen von György Dragomán

„was vergangen ist, ist vergangen, sage ich, während ich weiß, dass das nicht stimmt, dass es eine unermesslich große Lüge ist, es ist nicht vergangen, es vergeht nicht“

Die 13-jährige Ich-Erzählerin Emma lebt seit dem Tod ihrer Eltern in einem Internat, wo sie eines Tages von einer unbekannten Frau besucht wird, die sich als ihre Großmutter ausgibt und sie mit zu sich nach Hause nimmt.

Emma wird in der fremden Stadt von ihren Mitschülern gehänselt, bedroht und beschimpft. Mit der Zeit erfährt sie von den Gerüchten, die über ihre Familie erzählt werden, lernt, sich gegenüber ihren Mitschülern durchzusetzen, und findet in ihrer Großmutter eine Vertraute, die ihr schließlich von ihrem eigenen Leben, ihren Verlusten und ihrer Schuld erzählt. Der Scheiterhaufen von György Dragomán weiterlesen

Das Angeln von Piranhas von Tina Ger

„Nichts ist okay. Mein ganzes Leben ist total in sich verhakt. Da kocht etwas in mir, und das will raus.“ (Seite 68)

Schon seit Wochen interessiert sich Luca – verheiratet mit Johanna, 2 Kinder, Wohnung im Prenzlauer Berg – für die Brasilianerin Yara, die als Bedienung in der Kneipe „Lass uns Freunde bleiben“ arbeitet.

Nach einer einzigen miteinander verbrachten Nacht, die Lucas Leben vollkommen auf den Kopf stellt, verschwindet Yara spurlos: Sie ist aus ihrem WG-Zimmer ausgezogen, hat den Job in der Kneipe aufgegeben, hat ihren Flug in die brasilianische Heimat umgebucht.

Das Angeln von Piranhas von Tina Ger weiterlesen

Die Mittellosen von Szilárd Borbély

„Das Leben ist schwarzweiß. Oder farblos und deshalb unsichtbar.“

Der namenlose Ich-Erzähler wächst Ende der 1960er Jahre in einem ungarischen Dorf auf. Seine Kindheit ist geprägt von Gewalt, Armut, Hunger, Trostlosigkeit und emotionaler Abgestumpftheit.

Im Dorf sind Antisemitismus und Antiziganismus an der Tagesordnung, und auch der Ich-Erzähler und seine Familie werden geächtet und ausgegrenzt.

Szilárd Borbély beschreibt in Die Mittellosen eine grausame Kindheit, die man sich kaum vorstellen kann und deren Realitätsgehalt man gerne als reine Fiktion abtun möchte. Beim Lesen des Anhangs wird jedoch schnell klar: Der Roman weist autobiografische Züge auf, und die Verarbeitung seiner eigenen Kindheitserlebnisse führten beim Autor zu einer schweren Depression, die schließlich in einem Suizid endete. Die Mittellosen von Szilárd Borbély weiterlesen

Exit West von Mohsin Hamid

„Stell dir vor, du würdest hier leben. Und Millionen Menschen würden plötzlich aus aller Welt herkommen.“

„Auch in unser Land sind Millionen gekommen […]. Als in den Nachbarländern Krieg geherrscht hat.“

„Das war was anderes. Unser Land war arm. Wir hatten nicht das Gefühl, dass wir etwas zu verlieren hätten.“

Saeed und Nadia könnten nicht gegensätzlicher sein: Er wohnt noch bei seinen Eltern und ist religiös, sie hat mit ihrer Familie gebrochen, um allein leben zu können, fährt Motorrad und lebt säkular. Beide wohnen in einer namenlosen Stadt, treffen bei einem Abendkurs aufeinander, verbringen mehr und mehr Zeit miteinander und verlieben sich schließlich ineinander.

Als das Leben in ihrer Heimatstadt jeden Tag gefährlicher wird, bitte Saeed Nadia, zu ihm und seinen Eltern zu ziehen, und als Terror und Krieg immer näher kommen, entschließen sich die beiden, die Stadt endgültig zu verlassen und ihr Glück in der Fremde zu suchen. Exit West von Mohsin Hamid weiterlesen

Der Beginn von Carl Frode Tiller

„Ich blickte sie direkt an, aber auch jetzt sah sie mich nicht, sie sah durch mich hindurch. Jetzt sterbe ich tatsächlich, dachte ich, so ist es, wenn man stirbt.“ (Seite 12)

Nach einem Suizidversuch liegt Terje im Sterben.

Während sich seine Familie im Krankenhaus um sein Bett versammelt, denkt er über sein Leben nach. Dabei geht er immer weiter in die Vergangenheit zurück und lässt den Leser so teilhaben an den großen und kleinen Wendepunkten und prägenden Erlebnissen seines Lebens: am Leben mit seiner Ehefrau Turid und seiner Tochter Marit, an der schwierigen Beziehung zur alkoholabhängigen Mutter, an den wechselhaften Gefühlen für seine Schwester Anita, an der Abwesenheit des Vaters, an der Liebe zur Natur.

Der Beginn von Carl Frode Tiller weiterlesen

Hausbrand von Kamila Shamsie

„Ich erzähle niemandem von dir; du erzählst niemandem von mir. Wir sind des anderen Geheimnis.“ (Seite 80)

Nach dem Tod ihrer Mutter und ihrer Großmutter hat sich Isma um ihre beiden jüngeren Geschwister, die Zwillinge Aneeka und Parvaiz, gekümmert, doch als diese alt genug sind, um auf eigenen Füßen zu stehen, geht Isma in die USA, um an einem Promotionsstudiengang in Soziologie teilzunehmen.

Dass Isma problemlos in die USA einreisen kann, kommt einem Wunder gleich, denn Ismas Vater, der schon länger tot ist, war ein Dschihadist, und nun hat sich Ismas Bruder Parvaiz dem IS angeschlossen.

Hausbrand von Kamila Shamsie weiterlesen

Tage des Verlassenwerdens von Elena Ferrante

„Es war nur eine Frage von Tagen, bis sich alles wieder einrenken würde.“ (Seite 12)

Nach 15 gemeinsamen Ehejahren stellt Mario Olga vor vollendete Tatsachen: Er verlässt sie.

Es ist nicht das erste Mal, dass die beiden eine Beziehungskrise haben und er seine Trennung ankündigt. Und aus diesem Grunde geht Olga auch diesmal davon aus, dass er nach wenigen Tagen zurückkehren wird, zumal er nichts mitgenommen und sich nicht von den Kindern verabschiedet hat.

Tage des Verlassenwerdens von Elena Ferrante weiterlesen

Der Pfau von Isabel Bogdan (Hörbuch)

„Einer der Pfauen war verrückt geworden. Vielleicht sah er auch nur schlecht, jedenfalls hielt er mit einem Mal alles, was blau war und glänzte, für Konkurrenz auf dem Heiratsmarkt.“

Lady und Lord McIntosh leben in einem etwas in die Jahre gekommenen Herrenhaus in den schottischen Highlands. Hier gibt es noch Stromanschlüsse von anno dazumal und prähistorische Wasserleitungen, die für einen kaum vorhandenen Wasserdruck sorgen.

Die McIntoshs vermieten ein paar rustikale Cottages an Touristen oder für Veranstaltungen, und es gibt auf dem Anwesen mehrere Pfauen, wobei einer der Vögel eines Tages ein sonderbares Verhalten gegenüber blauen Gegenständen entwickelt. Der Pfau von Isabel Bogdan (Hörbuch) weiterlesen

Marianengraben von Jasmin Schreiber

„Das, was ich mir am meisten wünsche, ist, dass du in deinen letzten Sekunden nicht an mich gedacht hast, nicht gedacht hast, dass ich da sein müsste […].“ (Seite 44)

Paulas zehnjähriger Bruder Tim ist im Meer ertrunken. Paula kämpft mit Gefühlen von Trauer und Traurigkeit, fühlt sich schuldig, und danach kommt eine Zeit der großen Leere, des Gefühls der Gefühllosigkeit. Auch eine Psychotherapie hilft ihr nicht, wieder aus der Depression aufzutauchen.

Als sie nachts Tims Grab besucht, trifft sie auf den 83-jährigen Helmut, der gerade die Urne seiner Ex-Frau und Freundin Helga ausbuddelt.

Marianengraben von Jasmin Schreiber weiterlesen