Schlagwort-Archive: Europa

Kafkas Sohn von Szilárd Borbély

„Dieser Roman spielt in Osteuropa. In Wirklichkeit ist es gar kein Roman und spielt auch nirgendwo. Er erzählt keine Ereignisse, wie ein Roman sonst Geschichten erzählt, er möchte ihm nur ähneln. In Wirklichkeit erzählt er vom Reisen. Vom Reisen Kafkas, der mit Kafka nicht identisch ist. Das heißt, vom Bleiben an ein und demselben Fleck, ohne dass das Reisen seinen Sinn verlöre. In Wirklichkeit erzählt er nicht von Franz Kafka, dem Sohn Kafkas, sondern vielmehr vom Vater. Das heißt von Kafkas Vater, dem gefürchteten Hermann Kafka.“

Ich war restlos begeistert von Szilárd Borbélys Debütroman Die Mittellosen, der 2013 im ungarischen Original und im Herbst 2014 in deutscher Übersetzung erschienen ist. Den Erscheinungstermin in Deutschland und den internationalen Erfolg seines Romans hat Borbély, der vom Literaturnobelpreisträger Imre Kertész „der vielversprechendste und verlorenste ungarische Dichter“ genannt wurde, nicht mehr erlebt, denn im Februar 2014 hat sich Borbély suizidiert. Kafkas Sohn von Szilárd Borbély weiterlesen

Fettnäpfchenführer Norwegen. Im Slalom durch den Sittenparcours des hohen Nordens von Julia Fellinger

„[…] mit Druck erreicht man in Norwegen nicht besonders viel. Das Einzige, was hilft, ist, sich dem Tempo anzupassen.“ (Seite 139)

Julia Fellinger erzählt am Beispiel des Münchner Versicherungsdetektivs Stefan Derek von den Fallstricken und Fettnäpfchen, in die man in Norwegen geraten bzw. treten kann. Sie berichtet von Namen und Friedland-Klingelschildern, bokmål und nynorsk, (Un-) Höflichkeit und Schweigsamkeit, janteloven und bunad, Fjord und Segeln, Königshaus und Volksnähe, Alkohol und Einladungen, Schulabschluss und Feiertagen, Gleichheitsprinzip und Bildungssystem, Johannisfeuer und Einweggrill, Sauna und Bibelgürtel, Reichtum und Eigenheim, Zeitmanagement und Work-Life-Balance, Mitternachtssonne und Lofoten, Samen und Ola Normann, Tunnelbau und Superlativen, Lillehammer und Skifahren, EWR und EU, Angeln und Walfang, Jedermannsrecht und Umweltschutz.

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Die Grenze. Eine Reise rund um Russland von Erika Fatland

„Das Imperium war so groß geworden, dass der Zar nicht genau wusste, wo die Außengrenze verlief; niemand überblickte mehr die Aufzeichnungen früherer Entdeckungsreisender.“ (Seite 15)

Erika Fatland reist entlang der russischen Grenze – von Nordkorea bis nach Norwegen, durch China, die Mongolei, Kasachstan, Aserbaidschan, Georgien, die Ukraine, Weißrussland, Litauen, Polen, Lettland, Estland und Finnland.

Acht Monate ist sie unterwegs, und im Hinterkopf hat sie immer die Frage, was es eigentlich heißt, „das größte Land der Welt als Nachbarn zu haben“ (Seite 23). Auf ihrer Reise erfährt Fatland, dass es hierauf mindestens 14 Antworten gibt: für jedes Nachbarland Russlands eine.

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Lesereise Finnland. Das letzte Postamt diesseits des Polarsterns von Helge Sobik

„Ein besonders schwerer Fall, dieser Finne. Er ist anders als andere. Seltsamer. Sehr eigen. Ein bisschen verschroben. Mindestens.“ (Seite 27)

Helge Sobik erzählt in Das letzte Postamt diesseits des Polarsterns. Finnische Fundstücke von Samen und Lappland, Schamanen und christlichen Missionaren, Kakslauttanen und Iglus, Jedermannsrecht und FKK, Rauchsauna und Eisbaden, Rovaniemi und dem echten Weihnachtsmann, Joiks und Leningrad Cowboys, Åland-Inseln und Weinbergschneckenfarm, Pankoka und Schnaps, Wegbeschreibungen und Einsamkeit, Wäldern und Seen, Eisbrechern und Hundeschlitten, Helsinki und Mitsommernacht, Rentieren und Geistern.

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Gebrauchsanweisung für Prag und Tschechien von Martin Becker

„Wir haben die Nazis überlebt. Wir haben den Kommunismus überlebt. Den Kapitalismus überleben wir nicht.“

In seiner Gebrauchsanweisung für Prag und Tschechien erzählt Martin Becker von Milan Kundera und Prager Frühling, Ota Pavel und Bohumil Hrabal, Václav Havel und Sametová revoluce, Malá Strana und Hradčany, Karlovo náměstí und Staroměstské náměstí, Kaffeehauskultur und Gentrifizierung, Ahoj und Meerlosigkeit, Melancholie und Sehnsucht, Brno und Ostrava, Krteček und Paní Bída, Theater und Kneipen, Bier und Smažený sýr, český humor und Sprache, Franz Kafka und Nový židovský hřbitov, Straßenbahn und Metro, Karlovy Vary und Becherovka, Altvatergebirge und Nebel. Gebrauchsanweisung für Prag und Tschechien von Martin Becker weiterlesen

Fettnäpfchenführer Spanien. Wie man den Stier bei den Hörnern packt von Lisa Graf-Riemann

„Vielleicht stellen Sie tatsächlich fest, dass Spanien anders ist, als Sie es sich immer vorgestellt haben, auf jeden Fall reicher, vielfältiger und spannender.“ (Seite 10)

Am Beispiel der Sozialwirtin Lena und des Programmierers Tom erzählt Lisa Graf-Riemann von den Fettnäpfchen und Fallstricken, in die man in Spanien geraten kann. Dabei empfand ich Tom als eher unsympathischen Zeitgenossen und Lena als insgesamt sympathischer; gemeinsam ergeben die beiden Reisenden aber eine gute Mischung, die unterhält und informiert.

Graf-Riemann thematisiert in ihrem Fettnäpfchenführer Spanien Regionalsprache und Dialekt, cruasán und Tapas, Brot und Wein, Trinkgeld und geteilte Rechnungen, Händeschütteln und besitos, Telefonieren und Smalltalk, Feilschen und Geburtstagsfeiern, Schinkenmuseum und Stierkampf, ETA und Franco-Diktatur, Zuhören und Unterbrechen, Alleinsein und Flirten, Bedanken und Fluchen, Picknick und Vegetarier, Vollkasko und Vetternwirtschaft, Retiro und Drogenprobleme, Flamenco und Taxifahrten, Mauren und Christen, Glückstrauben und rote Dessous.

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Ein Jahr in Prag von Corinna Anton

>>“Zschaaaaschzschzschoooooschzschschzaaaasch“ höre ich und schaue die anderen Wartenden fragend an.<<

Nach mehreren Prag-Aufenthalten beschließt Corinna Anton, dass sie für längere Zeit in der Stadt leben möchte, und nimmt eine Stelle bei der deutschsprachigen „Prager Zeitung“ an.

In Ein Jahr in Prag erzählt Anton von Vegetariern und Abstinenzlern, Karlovo náměstí und Malostranské náměstí, Tramvaj und Metro, Žižkov und Altstädter Ring, Samtene Revolution und Prager Frühling, Chlebíčky und Rohlíky, Moldau und Náplavka-Ufer, Becherovka und Bier, Jan Hus und Bohumil Hrabal, Karpfen und Rybovka, Prager Unterwelt und Burgwache, Großstadtimker und Rondokubismus, Karel Gott und Soldat Schwejk, echten Kerlen und Geschlechterrollen, Fahrradfahren und Wochenendhaus, Doppelkopf und Segway, Vyšehrad und Bílá hora. Ein Jahr in Prag von Corinna Anton weiterlesen

Tschechenkrieg von Jan Novák und Jaromír 99

>>‚Die Suche nach der Widerstandsgruppe wuchs sich zu einer massiven militärischen Operation aus, an der auch sowjetische Einheiten mitwirkten. Die deutschen Beteiligten nannten die Großfahndung Uckro ‚Tschechenkrieg‘.<< (Seite 179)

Ich bin in der Nähe der deutsch-tschechischen Grenze aufgewachsen, aber ich weiß erschreckend wenig über Tschechien, seine Geschichte und seine Politik, was sicherlich zum Teil darin begründet liegt, dass in der DDR nur bestimmte Informationen unter die Leute gebracht und viele Ereignisse, Geschehnisse und Entwicklungen verschwiegen wurden. Mit dem Tschechenkrieg hatte ich mich bislang nicht beschäftigt, wusste nicht einmal, worum es sich bei dem Begriff handelt.

Die Graphic Novel versetzt den Leser in die 1950er Jahre, als die Brüder Josef und Ctirad Mašín gegen das kommunistische Regime in der Tschechoslowakei kämpfen und beschließen, das Land zu verlassen. Tschechenkrieg von Jan Novák und Jaromír 99 weiterlesen

Kukolka von Lana Lux

„Die Luft war kalt, aber sie roch nach einem neuen Leben. Ganz anders als in mir drin. Da roch es nach Verwesung und Tod.“

1993 in der Ukraine: Die 5-jährige Samira lebt in einem Heim und kennt nur die grausame Seite des Lebens: Beschimpfungen, Gewalt, Erniedrigung. Doch dann freundet sie sich mit Marina an, die von ihrem Vater ins Heim gebracht wurde und fest daran glaubt, dass er sie nach dem Sommer wieder nach Hause holt.

Als Marina von einem Paar aus Deutschland adoptiert wird, bleibt Samira allein zurück, flieht jedoch bald aus dem verhassten Heim und trifft auf den erwachsenen Rocky, der sofort von ihr fasziniert ist, sie am Bahnhof aufliest und mit in sein heruntergekommenes Haus nimmt. Dort lebt er mit mehreren Kindern und Jugendlichen, die für ihn betteln und stehlen, die durch ihn aber auch eine vertraute Gemeinschaft und eine Art Geborgenheit und Obhut gefunden haben. Kukolka von Lana Lux weiterlesen

Das Morgenland ist weit von Oss Kröher

Im Jahre 1951 machen sich Gustav Pfirrmann und Oss Kröher mit einem vorsintflutlichen Motorrad auf die Reise nach Indien. Sie durchqueren dabei Italien, Griechenland, die Türkei, Syrien, den Irak, den Iran, Afghanistan und Pakistan, sind fast 1 ½ Jahre unterwegs und erleben dabei eine Welt, die sich in den letzten 60 Jahren extrem verändert hat. Das Morgenland ist weit von Oss Kröher weiterlesen