„Das Imperium war so groß geworden, dass der Zar nicht genau wusste, wo die Außengrenze verlief; niemand überblickte mehr die Aufzeichnungen früherer Entdeckungsreisender.“ (Seite 15)
Erika Fatland reist entlang der russischen Grenze – von Nordkorea bis nach Norwegen, durch China, die Mongolei, Kasachstan, Aserbaidschan, Georgien, die Ukraine, Weißrussland, Litauen, Polen, Lettland, Estland und Finnland.
Acht Monate ist sie unterwegs, und im Hinterkopf hat sie immer die Frage, was es eigentlich heißt, „das größte Land der Welt als Nachbarn zu haben“ (Seite 23). Auf ihrer Reise erfährt Fatland, dass es hierauf mindestens 14 Antworten gibt: für jedes Nachbarland Russlands eine.
Fatland erzählt in ihrem Buch von der Geschichte des zaristischen Russlands, der Sowjetunion und des Landes nach dem Fall des Eisernen Vorhangs. Der Leser erfährt aber nicht nur von der Geschichte und Politik Russlands, sondern auch von den Nachbarländern, vom jeweiligen Verhältnis zu Russland, von der Art und Weise, wie Russland die einzelnen Länder geprägt hat und noch heute prägt. Zudem kann man hier viel über Diktaturen, Kriege, Armut, Naturkatastrophen, Unfälle wie im Kernkraftwerk Tschernobyl, Religion, Landschaften, Flora, Fauna, Mentalität und Kultur lesen.
Ich habe schon Ort der Engel und Sowjetistan von Fatland mit großer Begeisterung gelesen und war dementsprechend gespannt auf Die Grenze. Die Idee zum Buch fand ich von Anfang an grandios, und auch die Umsetzung hat mir gut gefallen.
In Die Grenze erhält man spannende Informationen, die man so noch nie zuvor gelesen oder gehört hat, und durch die vielen Schilderungen persönlicher Begegnungen hat man als Leser das Gefühl, ganz nah an den Personen zu sein, die Fatland unterwegs getroffen und mit denen sie sich ausgetauscht hat.
Fatland erzählt auf pointierte, kluge und anspruchsvolle Weise, bietet ein breites Spektrum an Wissen. Im Verlauf empfand ich ihre Ausführungen bisweilen etwas zu ausführlich und finde, das Buch hätte ein wenig mehr gestrafft werden können. Ansonsten kann ich es sehr empfehlen.
Erika Fatland: Die Grenze. Eine Reise rund um Russland, durch Nordkorea, China, die Mongolei, Kasachstan, Aserbaidschan, Georgien, die Ukraine, Weißrussland, Litauen, Polen, Lettland, Estland, Finnland, Norwegen sowie die Nordostpassage. Aus dem Norwegischen von Ulrich Sonnenberg. Suhrkamp, 2019, 623 Seiten; 20 Euro.