„Als ich jung war, sammelte ich Postkarten. […] Meine liebsten Postkarten stammen aus den 2030er und 2040er Jahren, den beiden letzten Jahrzehnten, bevor der Planet sich gegen das Land wandte und das Land gegen sich selbst. Es waren Bilder von den großen Ozeanstränden, bevor der ansteigende Meeresspiegel sie verschlang; Bilder aus dem Südwesten des Landes, bevor nur Asche davon blieb; Fotografien von den endlosen Ebenen des Mittleren Westens, menschenleer unter strahlend blauem Himmel, bevor sich in der großen Wanderung all die vielen, die ihre Heimat an den Küsten verloren hatten, hier niederließen. Bilder, die an ein Amerika erinnerten, wie es in der ersten Hälfte des 21. Jahrhunderts gewesen war: überschäumend und übermütig, selbstvergessen, als gäbe es kein Morgen.“
Mich hat American War so begeistert, dass ich erst das Buch gelesen und direkt im Anschluss das Hörbuch gehört habe. Wie in meiner Buchrezension zu American War ausführlich beschrieben, behandelt der Roman von Omar El Akkad den Zweiten Amerikanischen Bürgerkrieg, der im Jahre 2074 begann und 2095 beendet wurde. Im Mittelpunkt des Romans steht Sara T. Chestnut, die seit ihrer Kindheit „Sarat“ genannt wird und deren Leben durch den Bürgerkrieg aus den Fugen gerät.
Am Beispiel der Familie Chestnut erzählt El Akkad von Entwurzelung und dem Leben in einem Camp, von Elend und Hoffnungslosigkeit, von Dreck und Gewalt, von Landminen und Massakern, von Verlust und Rache, von Gefängnis und Folter. Der Autor beschwört dabei ein schreckliches und erschreckendes Szenario herauf: Erderwärmung, Fluten, Dürren, Selbstmordattentate, einen Bürgerkrieg mit 11 Millionen Toten sowie eine 10 Jahre lang wütende Seuche mit 110 Millionen Toten. Durch die Wahl Donald Trumps zum 45. Präsidenten der USA und den durch ihn initiierten Austritt aus dem Pariser Klimavertrag erscheinen El Akkads Schilderungen auf beunruhigende Weise glaubwürdig, und durch die detaillierten Beschreibungen des Alltags der Chestnuts sowie die Verwendung von Gerichtsakten, Zeitungsartikeln und Briefen wirkt der Roman nicht wie eine Dystopie, sondern wie ein reales Zeitdokument.
Bei der Vorpremiere des Romans in der Kanadischen Botschaft in Berlin hat Wanja Mues die deutsche Übersetzung gelesen und hat den Roman meiner Meinung nach perfekt intoniert. Er hat Sarats Geschichte so viel Leben eingehaucht, dass mir der Einstieg ins Hörbuch mit der Lesung durch Uve Teschner in den ersten Minuten etwas schwer gefallen ist, da seine Art, den Roman zu lesen, ganz anders als Mues‘ ist. Nach einem kurzen Einhören empfand ich Teschners Interpretation jedoch sehr gelungen, zumal man dem Hörbuch durch seine ruhige und eher langsame Lesung gut folgen kann.
Das Hörbuch ist gekürzt, doch die Kürzungen betreffen eher Kleinigkeiten, z.B. detaillierte Beschreibungen, die für die Geschichte nicht zwingend nötig sind. Allerdings fehlen auch vier komplette Zeitdokumente, was ich anfangs schade fand, weil diese dem Roman einen anderen Ton als die eher privaten Schilderungen von Sarats Familie geben. Weggelassen wurden jedoch diejenigen Dokumente, deren Fehlen man am ehesten verschmerzen kann bzw. die bei einem Hörbuch einfach nicht funktioniert hätten (ein zensierter Brief) – die wichtigsten und spannendsten Dokumente blieben dem Hörbuch erhalten.
Schön fand ich, dass Teschners Art und Weise zu lesen variiert, wenn er von Sarat erzählt versus wenn er die Zeitdokumente liest, die teilweise eher wie Presseberichte wirken.
American War ist ein Buch mit einer ungeheuren Schlagkraft: ein beunruhigender und beunruhigend glaubwürdiger Roman, eine gespenstische und realistische Zukunftsvision, sprachlich anspruchsvoll und formal durchweg gelungen. Ich wünsche American War aus diesem Grunde viele Leser und/oder Hörer und bin bereits gespannt auf den nächsten Roman des kanadischen Autors.
Omar El Akkad: American War. Aus dem Amerikanischen von Manfred Allié und Gabriele Kempf-Allié. Gelesen von Uve Teschner. Argon Verlag, 2017; 19,95 Euro.
Dieser Post ist Teil meines Klima-Monatsthemas im August 2021.