„Die Grundhaltung der erfahrungsfokussierten Beratung, Stimmenhören als normale menschliche Erfahrung zu akzeptieren, mit der man lernen kann, gut zu leben, und nicht als (nicht verstehbares) Symptom einer Psychose oder einer anderen psychischen Störung zu behandeln, ist für die meisten eine ganz neue, aber sehr bereichernde und ermutigende Erfahrung.“ (Seite 17)
Im Buch, das sich an alle Praktiker im Bereich von Psychiatrie, Psychotherapie und verwandten Fächern und Berufen richtet, geht es u.a. um den Einsatz des sogenannten Maastrichter Interviews, das von Marius Romme und Sandra Escher auf der Basis von Berichten von 400 Stimmenhörenden entwickelt wurde:
„In unserer Forschung und den vielen Kontakten mit Stimmenhörenden stellten wir fest, dass Stimmen in ihrem Leben einen Sinn ergeben. Sie haben eine Verbindung zu persönlichen Problemen. […] Die meisten Stimmenhörenden können mit ihren Stimmen umgehen, nur eine kleine Anzahl braucht fachliche Unterstützung. Wir schlossen daraus, dass Stimmenhören an sich kein Zeichen einer Krankheit darstellt. Allerdings kann man krank werden, wenn man keinen guten Umgang mit den Stimmen findet.“ (Seite 9, Geleitwort von Marius Romme und Sandra Escher)
Stimmenhören und Recovery von Joachim Schnackenberg und Christian Burr bietet wichtige und spannende Impulse für die Arbeit und den Umgang mit Stimmenhörenden und zeichnet so ein neueres und moderneres Bild von Psychiatrie, die ressourcenorientiert statt defizitfokussiert ist.
Dabei gehen die Autoren auf verschiedene (geeignete und weniger gut geeignete) Instrumente ein und geben konkrete Tipps für den Umgang mit Stimmenhörenden, erklären, was dabei wichtig und was weniger hilfreich ist.
Im Buch finden sich zudem zahlreiche Fallberichte, die detailliert von der Lebensgeschichte der Stimmenhörenden, den Inhalten ihrer Stimmen sowie ihren Emotionen und Gedanken im Zusammenhang mit Stimmen erzählen.
Als besonders spannend und wichtig empfand ich zudem das Kapitel zu Stimmenhören und Antipsychotika, die aufgelisteten Websites und die Informationen zu Fortbildungsangeboten im Bereich der erfahrungsfokussierten Beratung (EFC).
Mich hat das Buch sehr neugierig auf EFC gemacht, so dass ich die Teilnahme an einem Workshop in Betracht ziehe und das im Buch Gelesene gerne in die Praxis umsetzen möchte.
„Nach wie vor herrscht in vielen psychiatrischen und assoziierten Diensten und Einrichtungen eine stark defizitorientierte Denkweise. Danach ist für Menschen mit der Diagnose Psychose bestenfalls ein Leben mit Einschränkungen und andauernder psychiatrischer Unterstützung möglich. In der Folge geht es eher darum, die Krankheit einzudämmen, eine Verschlimmerung zu verhindern und Rückfällen vorzubeugen. Tritt an die Stelle dessen eine recoveryorientierte Grundhaltung, ergeben sich ganz neue Perspektiven, denn nun heißt das Ziel, Beziehungen und Hilfs- und Unterstützungssysteme so zu gestalten, dass eine Veränderung nicht nur im Sinne einer stetigen Verbesserung der Lebensqualität gefördert wird.“ (Seite 17)
Joachim Schnackenberg und Christian Burr: Stimmenhören und Recovery. Erfahrungsfokussierte Beratung in der Praxis. Psychiatrie Verlag, 2017, 172 Seiten; 25 Euro.