Junge aus West-Berlin von Maxim Leo und Kat Menschik

„Ich denke, dass man das Leben nur von hinten verstehen kann. Mir geht es jedenfalls so. Sinn ergibt das doch alles, wenn überhaupt, erst im Rückblick. Wenn man sich die Sachen ein bisschen zurechtlegt, wenn man träumt und vergisst. Dann kann sogar aus völlig bescheuerten Sachen ein ziemlich ordentliches Schicksal werden.“ (Seite 5)

Frühjahr 1977: Eine Klassenfahrt führt den unsicheren Marc von Karlsruhe nach Berlin. Als er den Rest der Klasse und den Geschichtslehrer aus den Augen verliert, bleibt Marc allein und verzweifelt am Alexanderplatz zurück. Hier trifft er auf ein Mädchen, das ihn anspricht, das fasziniert vom Jungen aus dem Westen ist, mit der er Zeit in einem Eiscafé verbringt. Marc fühlt sich wohl und mag die Aufmerksamkeit, die er als Westdeutscher automatisch bekommt. Es ist eine Begegnung, die große Auswirkung auf Marcs Leben hat, denn nach dem Abitur geht er nach West-Berlin, um dort zu studieren. Er fährt immer wieder in den Osten Berlins, entdeckt das Wiener Café in der Schönhauser Allee und das legendäre Café Nord. Hier im Osten ist Marc jemand, wird allein durch seine Herkunft aufgewertet, ist bekannt und beliebt.

Im Sommer 1989 lernt er Ost-Berlinerin Nele kennen, die nicht mit seiner westdeutschen Herkunft, den Konsumgütern und seinem mutmaßlichen Job im Musikbusiness zu beeindrucken ist, die ihm ein Ost-Berlin zeigt, das ihm bisher unbekannt war, und die in ihm ungewohnte Gefühle wachruft.

Ich mag Kat Menschiks Illustrationen sehr und sammle ihre „Illustrierten Lieblingsbücher“. Maxim Leo kenne ich von seinem großartigen Roman/Hörbuch Der Held vom Bahnhof Friedrichstraße, so dass ich sehr gespannt auf das gemeinsame Projekt von Menschik und Leo war, zumal ich Geschichten, die in Berlin spielen, sowie Geschichten vom Fall der Mauer generell sehr mag.

Das Buch ist (wie nicht anders erwartet) ein ästhetisches Meisterwerk: geprägter Deckel mit liebevollen Details, wunderschön gestaltete Vorsätze, rosafarbener Schnitt, graues Lesebändchen, Fadenheftung und die wunderbaren Illustrationen in Grau/Sepia und Rosa, die sich durchs gesamte Buch ziehen. Ich finde es jedes Mal aufs Neue erstaunlich, dass Menschiks Illustrationen einen sehr hohen Wiedererkennungswert haben, sich aber trotzdem alle von ihr illustrierten Bücher sehr voneinander unterscheiden, jeder einzelne Band besonders ist und sich von anderen Bänden abhebt.

Die Geschichte um Marc und Nele ist stimmungsvoll und am Ende sehr berührend, so dass ich Tränen in den Augen hatte, was mir bei Geschichten zum Fall der Mauer öfters passiert, weil ich eine enge persönliche Beziehung zum Thema habe.

Ich war beim Lesen mit Marc und Nele auf den Dächern des Prenzlauer Bergs unterwegs, bin eingetaucht ins Berlin kurz vor und nach dem 9. November 1989. Gepasst hat für mich hier auch, dass ich viele der beschriebenen Orte gut kenne und dass ich Berlin/Prenzlauer Berg wenige Jahre nach der Wende bereist habe, die im Buch beschriebenen Vibes und den Spirit beim Lesen gut nachvollziehen konnte.

Mir hat Junge aus West-Berlin große Sehnsucht nach dem alten Berlin gemacht.

Maxim Leo und Kat Menschik: Junge aus West-Berlin. Galiani Berlin, 2024, 80 Seiten; 23 Euro.

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