„Arabia felix ist der Jemen allerdings nicht mehr. Vielmehr gilt das Land am Zusammenstrom von Rotem Meer und Indischem Ozean heutzutage als Armenhaus der arabischen Welt, als Schauplatz der weltweit größten humanitären Katastrophe der Gegenwart.“ (Seite 12)
Said AlDailami erzählt in seinem Buch von der Geschichte des Jemen, von Islam und Stammeskultur, von Saleh und Huthi-Bewegung, von der Revolution von 2011 und Attentaten, von Militärintervention und Stellvertreterkrieg, Qat und Hungersnot, Korruption und Waffenhandel, Bab al-Mandab und Sokotra, humanitärer Katastrophe und Kriegsverbrechen, Folter und Haftbedingungen.
Gerade im Zuge des Ukraine-Krieges ist mir wieder (unangenehm) aufgefallen: Einige Kriege sind anscheinend subjektiv schlimmer als andere – weil sie räumlich näher sind oder weil die Opfer uns scheinbar mehr ähneln. Und dann gibt es da die Kriege, von denen wir in der westlichen Welt kaum etwas mitbekommen – zu weit weg, Andersgläubige, keine Flüchtlingsströme, weil das Land völlig abgeriegelt ist. Im Jemen tobt seit nunmehr sieben Jahren so ein Krieg, über den kaum einer spricht und der die Welt anscheinend nicht interessiert.
Mit dem Jemen verbinde ich ein wunderschönes Land, das ich vor 21 Jahren selbst bereist habe, in das ich schon vor meiner Reise verliebt war und das ich nach den vier Wochen im Land von ganzem Herzen geliebt habe.
AlDailami erzählt sehr detailliert und bietet viele Informationen zur Geschichte des Jemen, so dass man den aktuellen Krieg über die historischen Hintergründe besser verstehen kann. Sein Buch eignet sich so für alle, die sich den Konflikt im Jemen und den Krieg ganz genau anschauen wollen.
Mich hat dieses lehrreiche und ausgezeichnet recherchierte Buch sehr traurig gemacht. Nicht nur, weil dieser Krieg mit einer so großen humanitären Katastrophe einhergeht, sondern auch, weil ich auf meiner Reise viele Menschen kennengelernt habe, deren Schicksal mir unbekannt ist, weil dieses wundervolle Land in Trümmern liegt, weil sich kein Ende des Krieges abzeichnet. Es macht mich unendlich traurig, von der Auslöschung so vieler Menschenleben zu lesen, von Krankheiten, Hunger, Folter und Elend zu erfahren, mir die Zerstörung der schönsten Stadt der Welt (die Hauptstadt Sanaa), des berühmten (bereits im Quran erwähnten) alten Staudamms von Marib und der aus Lehm gebauten Hochhäuser in Shibam vor Augen zu führen – allesamt wundervolle Orte, die einmalig sind/waren, die ich selbst besucht und mit eigenen Augen gesehen habe.
Und dann gibt es im Buch weitere Informationen, die mir bislang völlig unbekannt waren und die mich wahrlich erschüttert haben, z.B. dass Sokotra, mein absoluter Sehnsuchtsort, von den Vereinigten Arabischen Emiraten vereinnahmt wurde und dass die VAE die ebenso ursprüngliche wie touristisch unverdorbene Insel vollkommen verändern.
Ich wünschte, wir würden uns mehr für alle Kriege interessieren und nicht nur für diejenigen, die uns gefühlt näher sind, weil die Opfer Weiße, Christen, Europäer sind. Ich wünschte, die Welt würde einen Blick in den Jemen wagen, auch dort echte Unterstützung bieten und sich mit viel Engagement gegen den Krieg aussprechen.
Said AlDailami: Jemen. Der vergessene Krieg. Unter der Mitarbeit von Andreas Wüst. C.H. Beck, 2019, 265 Seiten; 16,95 Euro.