„Nur, was blieb ihnen übrig? Der Mann hatte ihnen sogar Geld versprochen und, was noch wichtiger war, einen Platz in seinem Krankenhaus. Die Behandlung wäre umsonst, sagte er, bevor sie fragen konnten. Und so war sie ihm aus der Vorstadt nach Mitte gefolgt, hatte sich in der Frauenklinik einquartieren lassen, weit fort von zu Hause.“ (Track 1)
Berlin im Jahre 1924: Hulda Gold arbeitet nicht mehr als selbstständige Hebamme, sondern hat eine Anstellung in der neuen Frauenklinik in Mitte gefunden. Die Klinik ist modern, ermöglicht Hulda ein geregeltes Einkommen und somit mehr finanzielle Sicherheit, aber die eigentliche Tätigkeit ist für Hulda mehr als gewöhnungsbedürftig: Während sie bisher hauptverantwortlich für die Schwangeren, die Geburt und die Neugeborenen zuständig war, muss sie sich nun den Ärzten unterordnen, hat in dieser männerdominierten Welt weniger Rechte, wird nicht ernst genommen und verrichtet viele Handlangertätigkeiten.
Auch im Privatleben läuft es nicht allzu gut: Karl trinkt mehr und mehr Alkohol, und Hulda fragt sich, ob diese Beziehung überhaupt eine Zukunft hat.
Dann stirbt in der Klinik eine Frau bei der Geburt, obwohl zuvor alles komplikationslos aussah, und Hulda erfährt, dass es nicht das erste Mal ist, dass eine gesunde, fitte Frau auf dem OP-Tisch verblutet.
Ich kenne die beiden Vorgängerbände und bin zum erklärten Hulda Gold-Fan geworden, denn die Romane bilden die Stimmung im Berlin der 1920er Jahre wunderbar ab, bieten gelungene Einblicke in das Leben, den Alltag und den Klinikbetrieb der Zeit. Auch die Entwicklungen im Privatleben Huldas sind spannend und unterhaltsam, so dass ich mich jedes Mal auf den neuen Band freue.
Im 3. Band spürt man zudem immer mehr, wie sich der Antisemitismus in Deutschland (und der Welt) ausbreitet und geradezu salonfähig wird – dies macht besonders neugierig auf den 4. Band der Reihe.
Wie immer ist auch die Lesung von Anna Thalbach gelungen und passt perfekt zur Geschichte.
Anne Stern: Fräulein Gold. Der Himmel über der Stadt. Band 3 der Serie „Die Hebamme von Berlin“. Gelesen von Anna Thalbach. Argon Verlag, 2021; 19,95 Euro.