„Jetzt ist er blind für alles, was ihn umgibt, und für die Geschichten, die dahinterstecken, erst recht. Stumpf kommt ihm die Welt vor und auserzählt.“ (Seite 93)
Maximilian Wenger scheint die Kontrolle über sein Leben verloren haben: Die letzten drei Bücher des ehemaligen Bestsellerautors waren Flops; seine Ehefrau Patrizia hat ihn für einen Jüngeren verlassen; seine Kinder Zoey und Spin empfinden die Besuche bei ihm eher als Belastung und als Zeitverschwendung.
Nun sitzt Wenger allein und ungepflegt in einer zugemüllten Wohnung, phantasiert über seinen Suizid, kann sich für nichts motivieren und hat keine Ideen mehr.
Da entdeckt er in seinem Briefkasten einen Brief, der an seinen Vormieter Albert Trattner adressiert ist, liest ihn und ist wie gebannt. Weitere Briefe folgen, die Wenger schließlich aus seiner Lethargie reißen und ihm Inspiration für Neues bieten.
Mareike Fallwickl hat mich schon mit ihrem Debütroman Dunkelgrün fast schwarz begeistern können, und auch Das Licht ist hier viel heller hat mich von der ersten Seite an gefesselt.
Wie in ihrem Debüt behandelt sie in ihrem zweiten Roman Themen, die wahrscheinlich jeder aus eigenen Erfahrungen kennt (in Dunkelgrün fast schwarz toxische Beziehungen, die einem nicht gut tun und an denen man dennoch viel zu lange festhält; in Das Licht ist hier viel heller die normalisierte Gewalt gegenüber Frauen und den allgegenwärtigen Machtmissbrauch, um zu erreichen, was man zu erreichen hofft), so dass man sich mühelos mit der erzählten Geschichte identifizieren kann. Gleichzeitig vermag sie es aber, Dinge gekonnt auf den Punkt zu bringen, so dass das Buch viel Raum für Nachsinnen bietet und oft auch ein Augenöffner ist.
Ich selbst habe beim Lesen bisweilen gedacht, dass das, was Wengers Tochter Zoey passiert ist, so schlimm nicht ist, denn das haben wahrscheinlich alle Frauen schon erlebt, um dann zu merken, wie weit verbreitet Bedrängung, Bedrohung, Machtdemonstration etc. sind, so dass man all diese Grenzüberschreitungen als normal betrachtet, sie kaum noch bemerkt und schon gar nicht anspricht. Diese Seite des Romans hat mich sehr zum Nachdenken gebracht, hat mich über eigene Erfahrungen resümieren und mich Erlebnisse in einem neuen Licht betrachten lassen. Dies macht den Roman zu einem nicht nur unterhaltsamen, sondern zu einem wichtigen Buch.
Auch andere Aspekte von Das Licht ist hier viel heller haben mich begeistert, z.B. die vielen österreichischen Begriffe, die nie aufgesetzt oder gewollt wirken, sondern das Buch charmant und authentisch machen, der Zynismus und der Sprachwitz Fallwickls, mit dem sie z.B. die Blogger- und die Literaturszene auf die Schippe nimmt, der oft wahnwitzige und bitterböse Humor, der mich zum Lachen gebracht hat, die drei Erzählperspektiven (Wenger in den Kapiteln 10 bis 0, Zoey mit Hashtags, die Briefe an Albert Trattner in Kursiv), die sprachlich extrem variabel sind und so überzeugend die jeweilige Person charakterisieren.
Das Licht ist hier viel heller ist ein Buch, über das man reden möchte und über das man reden muss, das einem vor Augen führt, wie normalisiert die Themen Gewalt gegen Frauen, Machtausübung und Benachteiligung von Frauen sind, ohne dass Fallwickl auf die Tränendrüse drückt oder Männer pauschal an den Pranger stellt.
Mareike Fallwickl: Das Licht ist hier viel heller. Frankfurter Verlagsanstalt, 2019, 384 Seiten; 24 Euro.
Dieser Post ist Teil meines Österreich-Monatsthemas im September 2019.
Hey! Oh, das erste Buch von ihr habe ich noch immer nicht geschafft, und das zweite klingt schon wieder, als wäre das thematisch genau was für mich! Ich finde gerade wenn Gewalt so subtil stattfindet so erschreckend, auch das Wissen über emotionale Gewalt ist leider auch noch immer eher wenig verbreitet bzw wird so etwas oft verharmlost. Ich wünsche mir, dass sich da was verändert, vielleicht tragen solche Bücher dazu bei! Lg, Kathrin
Liebe Kathrin, dann musst du es unbedingt lesen! Und das erste auch :-).
Ich kann mir sehr gut vorstellen, dass solche Bücher etwas zu einer Veränderung beitragen, weil man sich beim Lesen manchmal erstmal bewusst wird, DASS etwas falsch ist, DASS es nicht normal ist, so wie es ist.
Liebe Grüße,
Romy