„Laut WHO (2000) sind nach einem Suizid durchschnittlich mindestens sechs Personen direkt betroffen. Hauptsächlich belastet sind dabei natürlich in erster Linie Familienangehörige und Freunde. […] Nicht zu vergessen sind die Augenzeugen des Suizids, die beispielsweise den Sprung aus großer Höhe beobachtet haben.“ (Seite 251)
Suizidalität und Suizidprävention bei Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen deckt eine ungeheure Bandbreite an Themen ab, die mit Suizid und Suizidalität in Verbindung stehen: z.B. bestimmte Aspekte der Suizidprävention, Prävalenz, Suizidmethoden, Begrifflichkeiten, protektive und Risikofaktoren, Warnsignale, Werther-Effekt, rechtliche Informationen, Hilfe bei akuter Suizidalität, Ursachen und Behandlung von Suizidalität, Besonderheiten bei Kindern und Jugendlichen sowie im höheren Lebensalter, Suizid am Arbeitsplatz, chronische Suizidalität sowie Postvention (z.B. Belastungs- und Trauerreaktionen, Scham und Schuldgefühle, Begleitung von Hinterbliebenen).
Die Autoren erwähnen in ihrem Buch gängige Informationen zum Thema Suizidalität, aber auch Aspekte, die in Sach- und Fachbüchern oft nicht abgehandelt werden, weswegen mich das Buch besonders interessiert hat. Ich habe mich schon intensiv mit Suizid und Suizidalität beschäftigt, aber gerade das Kapitel zur Postvention, aber auch die Ausführungen zu Suizid am Arbeitsplatz und zu chronischer Suizidalität fand ich sehr spannend und ansprechend, da es sich hierbei um Themen handelt, die in Publikationen zum Thema häufig nicht thematisiert werden.
Ich empfand das Buch als ein wenig umständlich geschrieben und sprachlich nicht so eingängig wie beispielsweise die Bücher von Tobias Teismann und Wolfram Dorrmann. Auch der starke Fokus auf tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie hat mir nicht so gut gefallen, da ich verhaltenstherapeutisch arbeite und damit vor allem das Kapitel „Hilfe bei akuter Suizidalität“ für meine Arbeit als klinische Psychologin nahezu unbrauchbar war. Nichtsdestotrotz empfand ich das Buch über weite Strecken als extrem lehrreich und hilfreich.
Dass die Autoren aus der Tiefenpsychologie kommen, merkt man aber nicht nur an ihrem starken Fokus auf tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie, sondern auch daran, dass Elemente aus der Verhaltenstherapie nicht immer korrekt wiedergegeben wurden, z.B. die falsche Erklärung, was C-/ bedeutet (Seite 99). Da ich mich selbst sehr intensiv mit der Schizophrenie befasst habe, ist mir zudem aufgefallen, dass die Autoren die Doppelbindungstheorie als mögliche Ursache für Schizophrenie benennen (Seite 75). Allerdings ist es so, dass eine Rolle von Doppelbindungen bei der Schizophrenie empirisch nicht bestätigt werden konnte, so dass das Lehrbuch diesbezüglich nicht up-to-date ist.
Trotz meiner Kritikpunkte kann ich Suizidalität und Suizidprävention bei Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen empfehlen – auch für Verhaltenstherapeuten! -, da das Buch viel Input zum Thema bietet und auch weniger häufig beschriebene Aspekte von Suizid und Suizidalität näher beleuchtet.
Johanna Gerngroß (Hrsg.): Suizidalität und Suizidprävention bei Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen. Schattauer, 2020, 281 Seiten; 38 Euro.
Ein Gedanke zu „Suizidalität und Suizidprävention bei Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen von Johanna Gerngroß“