
„Der Kolonisator verwandelt sich selbst in ein Tier, wenn er sich, um ein gutes Gewissen zu haben, daran gewöhnt, im Anderen das Tier zu sehen, und sich darin übt, ihn als Tier zu behandeln.“ (Track 3, Zitat von Aimé Césaire)
Navid Kermani hat verschiedene Länder Ostafrikas bereist und berichtet von historischen, politischen und kulturellen Aspekten Madagaskars, der Komoren, Mosambiks, Tansanias, Kenias und des Sudans. Dabei bettet er Aktuelles geschickt in Vergangenes ein, erzählt von historisch prägenden Ereignissen und von den Auswirkungen des Kolonialismus auf den afrikanischen Kontinent.
Kermani thematisiert in In die andere Richtung jetzt Kolonialismus und Bodenschätze, Klimawandel und Hungersnöte, Krieg und Gewalt, Musik und Gemeinschaft, Tradition und Moderne, Konsum und Ausbeutung, Entwicklungshilfe und den Schaden, den die westliche Welt verursacht hat und weiterhin verursacht.
Kermani ist ein extrem guter Beobachter und Erzähler mit viel politischem und historischem Hintergrundwissen, und bereits vor einigen Jahren habe ich mit großer Begeisterung ein Buch des Autors gelesen. Auch In die andere Richtung jetzt ist packend, klug, aufrüttelnd – und letztendlich ein Armutszeugnis für die westliche Welt.
Die Lesung durch Jens Harzer war mir anfangs etwas zu langsam, obwohl ich seine Stimme und seine Interpretation des Textes von Beginn an sehr gelungen und passend fand. Im Verlauf empfand ich diese reduzierte Geschwindigkeit aber stimmig, und mir hat die Ruhe, mit der Harzer das Buch eingelesen hat, sehr gut gefallen.
Insgesamt empfand ich das (Hör-) Buch als extrem berührend, aufrüttelnd, tragisch und spannend. Und ich empfehle jedem die Lektüre, der sich näher mit Ostafrika befassen möchte.
Eine Sache, die mir sehr wichtig ist und die mich deshalb gestört hat: Kermani verwendet den Begriff „Schizophrenie“ nicht korrekt (Track 130: „Schizophrenie der heutigen islamischen Welt“), was nicht nur inhaltlich falsch ist, sondern auch sehr zur Stigmatisierung der Schizophrenie beiträgt. Ich wünschte, es würde langsam auch in Journalismus-/Schriftstellerkreisen ankommen, dass der Begriff nichts mit Zerrissenheit, Spaltung, Gegensätzen oder Unvereinbarkeiten zu tun hat.
Navid Kermani: In die andere Richtung jetzt. Eine Reise durch Ostafrika. Ungekürzte Lesung von Jens Harzer. Argon, 2024; 20,95 Euro.