Die Stadt und ihre ungewisse Mauer von Haruki Murakami (Buch und Hörbuch)

„Es gibt wohl keinen Menschen, der keine Geheimnisse hat. Wir Menschen brauchen Geheimnisse, um auf dieser Welt zu überleben.“ (CD 1, Track 13)

Der namenlose Ich-Erzähler lernt bei einem Schreibwettbewerb ein Mädchen kennen, in das er sich mit der Zeit verliebt. Die beiden schreiben und treffen sich regelmäßig und denken sich die Geschichte um eine geheimnisvolle Stadt aus, die von einer Mauer geschützt ist und nur von jemandem betreten werden kann, der seinen eigenen Schatten zurücklässt.

Das Mädchen erzählt dem Jungen von sonderbaren Zuständen, die sie bisweilen befallen, und davon, dass ihr wahres Ich in der geheimnisvollen Stadt lebt. Irgendwann reißt der Kontakt zwischen den beiden Jugendlichen ab, doch der Junge kann sie nicht vergessen. Er macht sich schließlich auf den Weg in die Stadt, arbeitet dort in einer geheimnisvollen Bibliothek und trifft das Mädchen wieder, das ihn jedoch nicht mehr erkennt.

Haruki Murakami ist einer meiner Lieblingsschriftsteller, und ich habe unzählige Romane und Kurzgeschichten von ihm gelesen. Trotzdem hat mir der japanische Autor den Einstieg in seinen neuen Roman nicht gerade einfach gemacht, hat mich verwirrt und mich immer wieder verunsichert überlegen lassen, was denn nun Realität und was Fiktion ist in dieser Geschichte. Begeistert war ich von dem Roman ab dem Moment, in dem es mir egal wurde, was real und was fiktiv ist, und mich einfach treiben ließ.

Ich empfinde Die Stadt und ihre ungewisse Mauer als einen ungewöhnlichen Murakami, obwohl man hier auf alles trifft, was einen typischen Murakami ausmacht, inklusive Pasta, Beatles und einen Brunnen. Was den Roman in meinen Augen so untypisch macht, ist die Tatsache, dass das Buch sehr geheimnisvoll und magisch beginnt, anders als andere mir bekannte Romane Murakamis, die sehr realistisch und alltäglich starten und im Verlauf immer mehr magisch-realistische Elemente aufweisen.

Die Stadt und ihre ungewisse Mauer ist ein extrem atmosphärisches Buch, und die geheimnisvolle Stadt erscheint beim Lesen und Hören vor dem inneren Auge, die detaillierten Schilderungen sorgten dafür, dass ich alles sehr gut visualisieren konnte. Auch die Passagen, in denen der Ich-Erzähler fern der geheimnisvollen Stadt lebt und ein ganz alltägliches Leben lebt (das immer wieder magische Elemente aufweist), haben mir gefallen, sind stimmig und lebendig beschrieben.

Ich habe den Roman, der sich um Liebe und Nähe, um Vergessen und Erinnern dreht und bei dem die Grenzen zwischen Traum und Wachsein, Realität und Fiktion, Fantasie und echter Welt verschwimmen und durchlässig sind, parallel gehört und gelesen, und am Ende bin ich immer noch verwirrt, aber vor allem beeindruckt, bewegt und verzaubert.

Die Übersetzung durch Ursula Gräfe ist wie immer meisterhaft, und die Lesung von David Nathan ist schlichtweg perfekt. Nathan ist meiner Meinung nach einer der besten Sprecher und die beste Besetzung für diesen Roman. Er gibt dieser geheimnisvollen Geschichte die passende Intonation und hat mich stundenlang lauschen lassen.

Man muss sich ein wenig einlassen auf diesen fantastischen Plot, aber wenn man sich einlässt, kann man ganz tief eintauchen in Murakamis magische und melancholische Welt.

Haruki Murakami: Die Stadt und ihre ungewisse Mauer. Aus dem Japanischen von Ursula Gräfe. Ungekürzte Lesung von David Nathan. Hörbuch Hamburg, 2024; 34 Euro.

Haruki Murakami: Die Stadt und ihre ungewisse Mauer. Aus dem Japanischen von Ursula Gräfe. DuMont Buchverlag, 2024, 640 Seiten; 34 Euro.

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