„Hier überlebt allein der Tod.“ (Track 50)
Lale Sokolov wurde 1916 im slowakischen Krompachy als Ludwig Eisenberg geboren und 1942 nach Auschwitz deportiert. In Auschwitz arbeitete er als Tätowierer und konnte dadurch einige Vorteile im Lager genießen, die er dafür nutzte, anderen zu helfen.
Erst nach dem Tod seiner Frau brach Lale Sokolov sein Schweigen und erzählte Heather Morris von seinem Leben und seinem Überleben, die seine Geschichte mit Der Tätowierer von Auschwitz – ihrem ersten Buch – veröffentlichte.
Morris erzählt in dritter Person Singular von Lale Sokolovs Deportation, von seinem Eintreffen in Auschwitz, von seiner Tätigkeit als Tätowierer, von seinem täglichen Kampf ums Überleben – und von seiner großen Liebe Gita, die er in Auschwitz kennengelernt hat.
Ich habe schon sehr viel über das Dritte Reich, die Shoa und Auschwitz gelesen und zähle Roman eines Schicksallosen von Imre Kertész zu meinen absoluten Lieblingsbüchern, weil Kertész selbst ein Überlebender der Shoa ist, er damit authentische Einblicke gewährt, und weil er ein ungewohntes Bild von Auschwitz zeichnet.
Auch Der Tätowierer von Auschwitz basiert auf einer wahren Geschichte und den Erlebnissen eines Überlebenden der Shoa. Dies macht das Buch zu einem Zeitdokument und gibt ihm einen besonders düsteren Anstrich, weil es keine erdachte Geschichte ist, sondern man mit Morris‘ Buch vor Ort ist, Einblicke in den Lageralltag erhält und sowohl das Grauen beobachten als auch davon lesen kann, dass er hier seine große Liebe und damit sein Lebensglück fand, auch wenn dieser Gedanke an einen positiven Aspekt von Auschwitz grausam ist und einen mit Scham erfüllt.
Morris erzählt die Geschichte um Lale Sokolov auf eindringliche Weise. Sie berichtet von Gräueln, Tod, Gefahr und Willkür, aber auch von Menschlichkeit, Hoffnung, Hilfsbereitschaft und guten Momenten. Das Resultat ist eine Liebesgeschichte inmitten des Grauens, die ohne Pathos und ohne Kitsch auskommt.
Wenn man nicht wüsste, dass die Geschichte wahr ist, könnte man sie schnell als unrealistisch abtun, da hier eine Seite der Shoa gezeigt wird, von der man noch nie oder kaum gehört hat, die so erstaunlich und so fremd klingt, dass man sie als pure Fiktion abtun möchte. Damit zeigt Der Tätowierer von Auschwitz auch, dass das Leben die wunderlichsten Geschichten für einen bereit hält und dass man manchmal inmitten von Dunkelheit ein kleines Licht sehen kann.
Der Tätowierer von Auschwitz wird von Julian Mehne auf angenehme und passende Weise gelesen, und auch aufgrund seiner Interpretation und seiner Stimme vergehen die mehr als sieben Stunden Spielzeit wie im Fluge.
Lale Sokolov emigrierte nach dem Zweiten Weltkrieg mit seiner Frau nach Australien und betrat nie wieder europäischen Boden. Er starb 2006 und hinterließ einen Sohn.
Heather Morris: Der Tätowierer von Auschwitz. Die wahre Geschichte des Lale Sokolov. Aus dem Englischen von Elsbeth Ranke. Ungekürzte Lesung mit Julian Mehne und Sabine Arnhold. OSTERWOLDaudio, 2018; 18 Euro.