„Eine gute Geschichte, hättest du gesagt, ist wie unsere Drina: nie stilles Rinnsal, sie sickert nicht, sie ist ungestüm und breit, Zuflüsse kommen hinzu, reichern sie an, sie tritt über die Ufer, brodelt und braust, wird hier und da seichter, dann sind das aber Stromschnellen, Ouvertüren zur Tiefe und kein Plätschern. Aber eines können weder die Drina noch die Geschichten: für beide gibt es kein Zurück.“ (CD 4, Track 5)
Aleksandar wächst in Višegrad auf, einer bosnischen Kleinstadt in unmittelbarer Nähe zur serbischen Grenze, die durch den Roman Die Brücke über die Drina des Literaturnobelpreisträgers Ivo Andrić berühmt geworden ist.
Aleksandar ist ein talentierter Geschichtenerzähler, der allerlei kuriose Anekdoten über seine Familie wiedergeben kann und der in Schulaufsätzen immer wieder das Thema verfehlt, weil seine Fantasie mit ihm durchgeht.
Nach dem Ausbrechen des Bosnienkrieges flieht der 14-jährige Aleksandar zusammen mit seiner Familie nach Deutschland, wo sie sich ein neues Leben aufbauen und wo Aleksandars Fabulierkunst zur wichtigen Überlebensstrategie wird, um sich in der neuen Heimat einzufinden und über Geschichten Verbindungen zur verlorenen Heimat zu knüpfen.
In Wie der Soldat das Grammofon repariert erzählt Saša Stanišić, der selbst in Višegrad geboren wurde, 1992 mit seiner Familie aus Bosnien geflohen ist und seitdem in Deutschland lebt, von einer (seiner?) Kindheit in Bosnien, vom Krieg, vom neuen Leben in der Fremde, die zur Heimat wird, und von der Reise in die alte Heimat.
Wie der Soldat das Grammofon repariert stand schon sehr lange ungelesen in meinem Regal, und ich kann mich erinnern, dass ich den Roman vor ein paar Jahren angelesen, aber wieder abgebrochen hatte, weil ich einfach keinen Zugang finden konnte. Nun habe ich das Hörbuch angehört, und die Tatsache, dass der Autor selbst sein Buch vorliest, hat mich besonders neugierig gemacht.
Ich kann sagen, dass ich Stanišić als Sprecher unheimlich charmant fand und mich seine Stimme und seine Interpretation oft bei der Stange gehalten haben, wenn mir seine Ausführungen allzu ausschweifend waren.
Ich fand Stanišićs opulente, überbordende Sprache oft wundervoll, weil er detailreich erzählt und eine Welt voller Magie, Liebe, Verbundenheit und Herzlichkeit heraufbeschwört. Bisweilen fand ich seinen Erzählstil aber auch etwas zu ausufernd und ein wenig zu bemüht, habe manchmal den Faden verloren, konnte seinen Analogien nicht immer folgen.
Ich finde, Wie der Soldat das Grammofon repariert ist eindeutig ein Buch für wiederholtes Lesen oder Hören, weil Stanišić einfach unheimlich viel zu erzählen hat, und der Roman voller Ideen steckt, Stanišić so verschwenderisch erzählt, dass man bei der einmaligen Lektüre gar nicht alles erfassen kann. Dabei sind seine Geschichten oft humorvoll erzählt und sehr amüsant, aber auch tragisch und aufwühlend, so dass man bisweilen lachen muss, einem das Lachen aber sogleich im Hals stecken bleibt.
Auch wenn der Funke bei mir nicht ganz übergesprungen ist, kann ich Wie der Soldat das Grammofon repariert jedem ans Herz legen, der sich näher mit dem Krieg und dem Leben in Bosnien beschäftigen möchte, und jedem empfehlen, der eine vollkommen ungewöhnliche Geschichte lesen oder hören will. Denn bei einer Sache bin ich mir sehr sicher: Wie der Soldat das Grammofon repariert ist anders als alle anderen Bücher, die ich kenne, und mit der opulenten Sprache und der orientalisch anmutenden Erzählweise, bei der der Autor immer wieder in eine Seitenstraße abbiegt, sich treiben lässt, unterwegs Menschen beobachtet, ihre Geschichten zum Besten gibt und magisch-realistische Elemente einarbeitet, ist das Buch ein großes Lese- und Hörerlebnis.
Saša Stanišić: Wie der Soldat das Grammofon repariert. Gekürzte Lesung von Saša Stanišić. Random House Audio, 2008; vergriffen (antiquarisch erhältlich).
Saša Stanišić: Wie der Soldat das Grammofon repariert. btb, 2010, 448 Seiten; 9,99 Euro.
Dieser Post ist Teil des Balkan-Themas im Juli 2018.
Ein Gedanke zu „Wie der Soldat das Grammofon repariert von Saša Stanišić (Hörbuch)“