„Es geht los. Meine erste Nacht auf der Straße.“ (Seite 26)
Tamina-Florentine Zuch hat sich nach nur drei Wochen Reiseplanung auf den Weg nach New York City gemacht, um von dort aus ihr sechswöchiges Abenteuer anzutreten: Sie möchte – wie die legendären Hobos – mit Güterzügen illegal die USA durchqueren.
Sie macht sich in New York auf die Suche nach jemandem mit Erfahrung, der die richtigen Stellen kennt, dem sie sich anschließen kann. Doch sie hat im Big Apple wenig Glück, fährt mit dem Greyhoundbus nach Philadelphia und startet dort in ihr (bisweilen recht waghalsiges) Abenteuer.
Sie fährt die Ost- und später die Westküste der USA entlang, durchquert wie geplant das Land von Ost nach West, ist auf Güterzügen, in Bussen und per Anhalter unterwegs, schlägt sich allein oder mit verschiedenen Hobos und Reisenden durch, trifft Dirty Kids, Drogen- und Alkoholabhängige, aber auch Leute, die genau wie sie einen zeitlich begrenzten Nervenkitzel und die große Freiheit suchen.
Ich habe vor ein paar Monaten bereits König der Hobos von Fredy Gareis gelesen, das mir deutlich weniger als die ersten beiden Bücher des Autors gefallen hat. Vor der Lektüre von Supertramp war ich gespannt, ob mir die Schilderungen des Hobo-Reisens aus der Sicht einer Frau besser gefallen – und das tun sie!
Ich fand Zuchs Buch einfach großartig, habe es in einem Rutsch durchgelesen und war durchweg fasziniert und beeindruckt von ihrem Mut, aber auch von ihrer Menschenkenntnis und von ihrer Vernunft, auch wenn sie bisweilen durchaus unvernünftig handelt.
Zuch stellt die Personen, die sie auf ihrer Tour kennengelernt hat, sehr detailliert vor und beschränkt sich dabei nicht nur auf Äußerlichkeiten oder Oberflächlichkeiten, sondern erzählt von der Herkunft, von der Familiensituation, von Hintergründen. Dadurch kann man sich genau vorstellen, mit wem sie unterwegs ist, aber auch, wer diese Menschen sind, wie sie in bisweilen ausweglose Lagen geraten sind, was sie antreibt. Viele dieser Geschichten haben mich traurig gemacht, vor allem diejenigen von jungen Menschen, die ihr Leben im Alkohol- oder Drogenrausch verbringen, und diejenigen von einsamen, verzweifelten Menschen, die scheinbar (fast) alles verloren haben. Es gibt aber auch viele warmherzige Momente im Buch, die ein Gegengewicht zu diesen schweren Schicksalen darstellen, und die sehr gefühlvoll geschildert wurden.
Auch wenn diese Art des Reisens wirklich gar nichts für mich ist, sind die Beschreibungen der Autorin so stimmungsvoll, dass ich manchmal das erleben wollte, was Zuch erlebt hat. Ich finde, genau das macht einen guten Reisebericht aus: dass der Leser neugierig gemacht wird, dass er unterhalten wird, dass er dazu lernt, dass er über seinen eigenen Tellerrand blickt, und dass er davon träumt, Dinge zu tun, die er eigentlich nie tun wollte.
Tamina-Florentine Zuch: Supertramp. Als blinde Passagierin mit dem Güterzug durch das Herz Amerikas. Riva, 2018, 256 Seiten; 14,99 Euro.
Dieser Post ist Teil des Zugfahrt-Monatsthemas im Oktober 2019.