„Syriens kollektive Tragödie besteht aus Millionen individuellen Tragödien […].“
Petra Ramsauer bietet in Siegen heißt, den Tag überleben einen gelungenen Überblick über den Krieg in Syrien und ermöglicht es dem Leser, die Ursachen, Hintergründe und Folgen für das syrische Volk und die Welt besser zu verstehen.
Dabei geht Ramsauer auf die Rolle des Römischen Reichs, der Islamisierung der Region und des Osmanischen Reichs auf die Geschichte Syriens ein, betrachtet die Bedeutung der Mandatsherrschaft Frankreichs und des arabischen Nationalismus in Bezug auf die heutige Problematik im Land und fasst die Geschichte des Konflikts, den Beginn des Bürgerkriegs und die Ausweitung zum Krieg zwischen den Streitkräften Syriens unter Baschar al-Assad, den alliierten Kriegsparteien und den Gruppen der Opposition auf verständliche Weise zusammen. Ramsauer veranschaulicht ihre Ausführungen anhand von Augenzeugenberichten und unterfüttert ihre Aussagen mit Zahlen, so dass man als Leser eine Vorstellung bekommt, was dieser Krieg bereits angerichtet hat, was er derzeit anrichtet und was er auch in Zukunft anrichten wird:
„Laut Daten der Weltbank beläuft sich der Gegenwert der im Krieg vernichteten Häuser, Kraftwerke, Straßen, Krankenhäuser auf knapp 220 Milliarden Euro. 15 Prozent aller Kindergärten, Schulen und Universitäten liegen in Schutt und Asche. Zehntausende Universitätslehrer sind geflohen, zwei Millionen Kinder gehen nicht mehr in die Schule. Syrien liegt im eigentlichen und im übertragenen Sinn in Trümmern.“
Ramsauers Formulierungen treffen stets ins Schwarze, und auf sachliche Weise und mit einfachen Worten bringt sie den desolaten Zustand des Landes auf den Punkt, so dass ihr Buch aufklärt und bewegt, ohne weinerlich oder reißerisch zu sein.
Sie reduziert für eine bessere Verständlichkeit die Komplexität des Krieges, wenn dies möglich ist, und bietet dem Leser detailreiche Schilderungen, wenn dies nötig ist, um deutlich vor Augen zu führen, was Krieg im Allgemeinen und der Krieg in Syrien im Besonderen bedeutet. Dabei geht sie auf verschiedene Aspekte des Krieges ein: die Kluft zwischen Arm und Reich, die Formierung und Entwicklung der einzelnen Konfliktparteien wie die Al-Nusra-Front, Daesh und die Freie Syrische Armee (FSA), das Abschotten und Aushungern von Widerstandshochburgen wie Daraya, die Bombardierung von Krankenhäusern, das Töten von Ärzten und Pflegern, der Einsatz von Kampfgas und die Folter in den Gefängnissen des Regimes, doch sie erwähnt auch Hoffnungsträger wie die Weißhelme, die den Syrern und den Lesern das Gefühl geben, dass noch nicht alles verloren ist.
Siegen heißt, den Tag überleben ist ein wichtiges Buch, dem ich viele Leser wünsche. Wer mehr Informationen zum Krieg haben möchte oder wer immer noch nicht versteht, warum Syrer aus ihrem Land fliehen (müssen) und wieso sie unsere Hilfe brauchen, der sollte dieses Buch lesen.
Petra Ramsauer: Siegen heißt, den Tag überleben. Nahaufnahmen aus Syrien. Kremayr & Scheriau, 2017, 207 Seiten; 22,50 Euro.
Dieser Post ist Teil des Levante-Monatsthemas im August 2019.