„Eine Psychiatrie ohne Eigensinn hat einfache Konzepte, klare Diagnosen, Standardmedikationen, ein abgeschottetes Menschenbild … und ist langweilig (muss unendlich langweilig sein). Die Arbeit mit eigensinnigen Patientinnen und Patienten ist anstrengend, vielseitig, lebensnah, birgt überraschende Wendungen mit offenem Ende … und macht Spaß.“ (Seite 9f)
Thomas Bock erzählt in Psychose und Eigensinn von der Bedeutung von Eigensinn bei psychischen Störungen, von anthropologischen Aspekten, Krankheitseinsicht und Compliance, von Recovery, Angehörigenbewegung, Psychoseseminaren und Corona-Pandemie. Im Anschluss daran werden eigensinnige Menschen mit Psychoseerfahrung in 17 Portraits vorgestellt.
Ich habe schon unzählige Bücher von Bock gelesen, und diese haben stets dazu beigetragen, mich persönlich und in meiner psychotherapeutischen Tätigkeit (im Bereich der Psychosepsychotherapie, aber auch generell als Therapeutin) weiterzuentwickeln. Ich schätze Bocks wertschätzenden, respektvollen, interessierten Blick auf Menschen mit Psychoseerfahrung, lerne viel und gern von ihm und bin immer wieder beeindruckt von seinem Wissen und seiner Erfahrung.
Auch im vorliegenden Buch hat Bock die Funktion und Sinnhaftigkeit von Psychosen sowie die Bedeutung von Symptomen wie Wahn und Halluzinationen perfekt herausgearbeitet, wodurch er wichtige und hilfreiche Impulse für die eigene Arbeit mit Menschen mit Psychose bietet.
Auch die trialogische Sicht, typisch für Bock, ermöglicht wertvolle und wichtige Einblicke in die Thematik. Das Thema Eigensinn werde ich in Zukunft gerne mehr im Auge behalten und mich gerne an Bocks Ausführungen erinnern, wenn ich es mit besonders herausfordernden Menschen zu tun habe.
„Dünnhäutige, insbesondere psychosenahe Menschen erleben Lebenskrisen existenzieller. Vor neuer Orientierung können Phasen des besonderen Eigensinns nötig sein bis hin zum Risiko, vorübergehend aus der Realität auszusteigen. Auch für dünnhäutige Menschen sind solche Zeiten nicht völlig zu vermeiden – es sei denn um den Preis der Stagnation. Aber sie müssen sich vielleicht anders darauf vorbereiten und brauchen begleitende Hilfen. Wenn wir diese verweigern und unsere Hilfeangebote ausschließlich darauf ausrichten, Rückfälle zu vermeiden, verpflichten wir die sich uns anvertrauenden Menschen darauf, mit den Krisen auch das Leben zu vermeiden. Mit dieser Haltung sind wir nicht hilfreich, sondern verstärken Negativsymptomatik und sind mitverantwortlich für depressive Nachschwankungen, ohne es zu merken.“ (Seite 13f)
Thomas Bock: Psychose und Eigensinn. Noncompliance als Chance. Paranus im Psychiatrie Verlag, 2021, 192 Seiten; 18 Euro.