„[…] sie erregten Aufsehen, aber das störe vor allem die Franzosen, die es nicht leiden könnten, wenn man Leute bestaunte, die größer und reicher waren als sie selbst […]“
Anfang der 1920er Jahre im nordafrikanischen Nahbès: Einheimische und Franzosen leben hier recht friedlich miteinander, doch eines Tages wird die alltägliche Routine durch das Eintreffen eines amerikanischen Filmteams erschüttert. Dieses ist nach Nahbès gekommen, um hier den Film Der Wüstenkrieger zu drehen, und binnen kürzester Zeit mischen die offenen, lebensfrohen, unkonventionellen, kurzröckigen Amerikaner das Leben der Bewohner Nahbès‘ auf.
Fünf Personen spielen eine zentrale Rolle in Hédi Kaddours Roman: Raouf, der von seinem Vater Si Ahmad gebeten wurde, sich um den Regisseur und seine Frau, die Schauspielerin Kathryn Bishop, zu kümmern, verfällt bald der allseits umschwärmten, offenherzigen Schauspielerin. Auch das Leben von Ganthier, einem französischen Siedler und dem größten Grundbesitzer der Region, der Raoul zum Lesen gebracht hat, gerät durcheinander, als er auf die Journalistin Gabrielle trifft. Und Raoufs Cousine Rania, die früh verwitwet ist und nach Nahbès gekommen ist, um ihrem Onkel Abdesslam den Haushalt zu führen, versucht, ein eigenständiges Leben zu leben und sich mehr von der Beeinflussung ihres Vaters und ihres Bruders loszusagen.
Ich hatte mich sehr auf Die Großmächtigen gefreut, da ich gerne nordafrikanische Autoren lese, und der Einstieg ins Buch versprach eine gelungene Lektüre. Leider empfand ich den weiteren Verlaufs des Romans oft als ermüdend, auch wenn einzelne Passagen immer wieder spannend zu lesen waren und mich zur weiteren Lektüre animierten.
Ich habe mittendrin sogar eine Pause von mehreren Wochen eingelegt, was ich eigentlich nie mache, und beim Wiedereinstieg hatte ich die Hoffnung, dass ich beim zweiten Anlauf gefesselter von dem Roman sein würde. Leider war dies nicht so, und ich musste mich stellenweise durch die Seiten quälen, obwohl mir die Beschreibungen der Protagonisten und der Handlungsorte, die Schilderung des Aufeinanderprallens der Kulturen und der blumige Schreibstil gut gefallen haben. Auch die Einblicke in die Zeit des Umbruchs, die historische Epoche zwischen den beiden Weltkriegen, das Leben in Nordafrika vor der Unabhängigkeit der maghrebinischen Länder und in die Entwicklung der Emanzipierung der Frau fand ich gelungen.
Nichtsdestotrotz war mir der Roman im Ganzen betrachtet zu episodenhaft und zu zerfahren erzählt, wodurch er auf mich oft unzusammenhängend wirkte und eher anstrengend zu lesen war, was durch die Bandwurmsätze noch verstärkt wurde.
Ich bin mir sicher, dass ich eines Tages nochmals zu Die Großmächtigen greifen werde, denn die fast durchweg positiven Kritiken vermitteln mir den Eindruck, dass ich möglicherweise zur falschen Zeit zu diesem Roman gegriffen habe.
Hédi Kaddour: Die Großmächtigen. Aus dem Französischen von Grete Osterwald. Aufbau Verlag, 2017, 477 Seiten; 24 Euro.
Dieser Post ist Teil des Maghreb-Monatsthemas im April 2022.