„Ich bin so neidisch. Lachhaft neidisch. Neidisch auf jeden, der vielleicht die Gelegenheit hat, aus dem Grab zu sprechen.“ (aus dem Essay „Song for the Special“)
Die 22-jährige Marina Keegan starb fünf Tage nach ihrem Yale-Abschluss bei einem Autounfall. Sie hinterließ zahlreiche Storys und Essays, galt als Ausnahmetalent und als vielversprechende Autorin.
Das Gegenteil von Einsamkeit enthält eine Auswahl ihrer Storys und Essays, Marina Keegan erzählt darin von Tod und Sterben, von Familie und Beziehungen, von Alter und Einsamkeit, von Verlust und Vertrauen, von Liebe und Eifersucht, von Krieg und Krankheit.
In einer Einleitung wird Marina von ihrer Dozentin Anne Fadiman vorgestellt, die sowohl von Marinas Talent als auch von ihren Macken und Fehlern erzählt und so ein komplexes Bild eines Menschen zeichnet, den sie bewundert hat und von dem sie fasziniert war. Im Anschluss folgt Marinas Aufsatz „Das Gegenteil von Einsamkeit“, welcher in der Abschlussausgabe des Yale Daily News erschienen war, sowie neun Storys und acht Essays von Marina Keegan.
Das Gegenteil von Einsamkeit hat mich berührt, wie es lange kein Buch geschafft hat. Dies liegt zum Teil sicherlich am frühen und gewaltsamen Tod von Marina Keegan, aber größtenteils an den behandelten Themen und an ihrer Fähigkeit, über heterogene Themen stimmig zu erzählen, stets authentisch zu sein, den Leser zu fesseln und zu bewegen.
Marina Keegan erzählt von wichtigen Lebensereignissen, großen Emotionen, Wünschen und Hoffnungen, wobei sie so reif und erfahren wirkt, dass man sich beim Lesen stets aufs Neue in Erinnerung rufen muss, dass die Autorin beim Schreiben sehr jung war, viele Erfahrungen (z.B. Alter, Krieg, Krankheit) nicht selbst gemacht haben konnte. Doch da die Geschichten in Ich-Form geschrieben, glaubwürdig und lebendig erzählt wurden, fühlt es sich stets wie ein Erfahrungsbericht an. Dabei ist es egal, über welches Thema Marina Keegan schreibt. Ihr gelingt es jedes Mal, dem Leser zu suggerieren, dass sie von sich, ihrem Leben, ihren Erlebnissen schreibt.
Die Auswahl der Geschichten beruht selbstverständlich auf einer Selektion, die nach Marina Keegans Tod vorgenommen wurde, und sicherlich wurden diejenigen Geschichten gewählt, die am meisten mit Marinas Leben und ihrem frühen Tod assoziiert waren. Dennoch habe ich beim Lesen oft Gänsehaut bekommen, wenn ich gelesen habe, was diese junge Autorin beschäftigt hat, was ihr wichtig war, was nach ihrem Unfalltod nun so passend ist und was von ihr bestehen bleibt:
„Willst du schon gehen?
Nein, ich wünsche mir viel Zeit, um mich in alles
zu verlieben…
Und ich weine, weil alles so schön ist und so kurz.“
(aus dem Gedicht „Vergangenes“)
„Bevor ich sterbe, werde ich mir ein Mikrophon besorgen und auf einen Funkturm steigen. Ich werde tief Luft holen und die Augen schließen, denn oben angekommen, fängt es an zu regnen. Hallo, sage ich dann zum Weltall, hier ist meine Visitenkarte.“
(aus dem Essay „Song for the Special“)
Ich bin beeindruckt und begeistert von Marina Keegan. Doch beim Lesen mischt sich unter diese Begeisterung immer wieder die Frage, was wir von Marina Keegan noch hätten erwarten können, und das Bedauern, dass wir von ihr nichts mehr erwarten dürfen.
Marina Keegan: Das Gegenteil von Einsamkeit. Aus dem Amerikanischen von Brigitte Jakobeit. S. Fischer, 2015, 288 Seiten; 18,99 Euro.
Dieser Post ist Teil des Nordamerika-Themas im Februar 2017.