Am Himmel kein Licht von Gulwali Passarlay

„Damals, kurz nach meinem Aufbruch aus Afghanistan, war ich noch ein ängstlicher kleiner Junge gewesen. Das war lange her.“

Im Alter von 12 Jahren wird Gulwali Passarlay von seiner Mutter aus Afghanistan weggeschickt und macht sich zusammen mit seinem Bruder auf die lange und beschwerliche Reise nach Europa. Schon bald wird er von seinem Bruder getrennt und schlägt sich allein durch – immer mit der Hoffnung, in Sicherheit leben zu können und seinen Bruder wiederzufinden. Nach mehr als einem Jahr voller Gefahren und Entbehrungen kommt Passarlay schließlich in Großbritannien an, wo er sich ein neues Leben aufbauen möchte.

In Am Himmel kein Licht erzählt Passarlay von der Geschichte seiner Familie und von seiner Kindheit in Afghanistan, vom Leben in Afghanistan vor und während der Invasion des Westens, von Kultur und Traditionen, von Mentalität und Gewohnheiten, von Flucht und Schleppern, von Hunger und Elend, vom Dschungel in Calais und Verzweiflung.

Ich habe mich im letzten Jahr sehr intensiv in der Flüchtlingshilfe engagiert und mit vielen Geflüchteten persönlich über ihre Erlebnisse gesprochen. Aus Erfahrung weiß ich, wie wertvoll und wichtig diese Arbeit ist und wie bedeutsam es ist, dass die Erlebnisse der Geflüchteten geteilt und verbreitet werden. Wer selbst keine Kontakte zur aktiven Flüchtlingshilfe hat, keine eigenen praktischen Einblicke in diese Thematik erhalten kann, der sollte auf jeden Fall dieses Buch lesen. Und vielleicht sorgt die Lektüre sogar dafür, dass man sich künftig mehr einbringen und einsetzen mag, persönlich helfen und ein Ansprechpartner für Geflüchtete sein möchte.

Mir hat das Buch sehr gut gefallen, und auch nach dem Lesen ist mir schier unbegreiflich, wie ein Kind eine solche Reise unternehmen, bewältigen und überleben konnte.

Besonders gut gefallen hat mir nicht nur der Detailreichtum der Geschichte, sondern auch die Tatsache, wie sich der Erzählstil des Autors ändert: vom kindlichen Erzählen zu Beginn zum fast weisen, philosophischen Stil am Ende. Dies spiegelt auch die persönliche Entwicklung des Autors wieder, der durch die Flucht und die Entbehrungen viel zu früh erwachsen wurde.

Auch der Blick auf die Ereignisse vom 11. September 2001 und auf die darauffolgende Afghanistan-Invasion des Westens fand ich sehr gelungen, da er fernab der üblichen proamerikanischen und proeuropäischen Perspektive zeigt, was der Krieg für das afghanische Volk tatsächlich bedeutete.

Am Himmel kein Licht ist eindrucksvoll und bewegend. Nach der Lektüre wünsche ich mir noch mehr, dass all jene Geflüchteten, die ich im letzten Jahr kennenlernen und begleiten durfte und von denen viele meine Freunde geworden sind, am Ende wie Passarlay ihren Weg in der neuen Heimat finden und glücklich werden.

Gulwali Passarlay: Am Himmel kein Licht. Übersetzt von Jürgen Neubauer. Piper, 2016, 416 Seiten; 20 Euro.

Dieser Post ist Teil des Themas „Flucht und Migration“ im April 2017.

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