„Das ist das Befreiende an einer Sucht: Man hat Ruhe von sich selbst, Urlaub vom Ich, von der Selbstbewertungsmaschinerie, man hat zu tun, die Sucht gibt Befehle aus, und die schuftet man dann weg. Es ist das Leben in einer Diktatur, ganz der Sucht und ihren herrischen Gesetzen unterworfen.“ (Seite 224)
Benjamin von Stuckrad-Barre erzählt in Panikherz vom Aufwachsen in einer Pastorenfamilie, von Mauerfall, Mädchen, Lesen und Buchveröffentlichungen, von Udo Lindenberg und seiner Musik, Nirvana, seiner Tätigkeit als Musikkritiker, von Hamburg, London, Berlin, Zürich und dem Leben in den USA sowie von Alkohol, Kokain, Essstörung, Psychotherapie, Klinikaufenthalten, Entzügen und erneuten Abstürzen.
Mich hat Panikherz von Anfang an gefesselt, wobei ich den Einstieg als amüsant und humorvoll, den weiteren Verlauf als tragisch und sehr bewegend empfand.
Von Stuckrad-Barre erzählt mit viel Sprachwitz aus seinem Leben und hat mich zu Beginn oft an Joachim Meyerhoff erinnert, wobei ich von Stuckrad-Barre im Vergleich authentischer finde, da ich Meyerhoff bisweilen als zu bemüht lustig empfinde.
Beim Lesen von Panikherz habe ich wirklich gelacht, zwischendurch viel geschmunzelt und habe mich perfekt unterhalten gefühlt. Dann ist die Stimmung gekippt, denn was in von Stuckrad-Barres Leben schließlich passierte, lässt einem das Lachen im Hals steckenbleiben. Der Autor schreibt sehr explizit und sehr lebendig von seinem Weg in die Sucht, von seiner Alkohol- und Kokainabhängigkeit, bietet Einblicke in Entzüge und Rückfälle.
Was anfangs so lustig schien und sich amüsant lesen ließ, wird im Verlauf sehr berührend, und der Autor schildert eindrucksvoll und mit großer Offenheit die Abwärtsspirale von Alkohol und Kokain, Hungern und Essanfällen. Er zeigt auf, wie nach und nach alles in seinem Leben kaputt ging, was er vorher kannte und schätzte, und wie wenig dies noch zählte, weil die Sucht die Kontrolle übernommen hatte.
Benjamin von Stuckrad-Barre: Panikherz. Kiepenheuer & Witsch, 2017, 576 Seiten; 12,99 Euro.
Dieser Post ist Teil des Sucht-Monatsthemas im März 2021.