„Eines Tages verlieren wir alle jemanden, der uns nahe stand und den wir liebten.“ Track 162)
Der neunjährige Jai lebt mit seinen Eltern und seiner Schwester in einem indischen Basti, einer Armensiedlung am Rande einer Großstadt.
Er schaut gerne Polizeidokus, und als ein Junge aus seiner Klasse verschwindet, wittert Jai seine große Chance, das durch die TV-Serien erlangte Wissen anzuwenden, um den Jungen zu finden. Bei seiner Detektivtätigkeit helfen ihm sein Freund Faiz, der ein viel besserer Anführer als Jai ist, und seine Freundin Pari, die in der Schule bessere Noten als Jai bekommt und viel klüger als er ist.
Gemeinsam mit Faiz und Pari wagt sich Jai in den geheimnisvollen Bhoot-Basar mit seinen verwinkelten Gässchen und in verbotene Viertel der Stadt. Doch dann verschwinden weitere Kinder, und im Basti geht nicht nur die Angst um, dass es das eigene Kind treffen könnte, sondern auch die Sorge, dass die Polizei mit Bulldozern anrückt und die illegale Siedlung niederwalzt.
Von Anfang an hatte ich das Gefühl, dass mir die Geschichte um Jai und den Bhoot-Basar außerordentlich gut gefallen wird, auch wenn ich zu Beginn noch nicht recht wusste, wohin die Reise gehen wird, da ich keine Klappentexte lese und mich der Einstieg ins (Hör-) Buch fast ein wenig verwirrt hat. Gelungen fand ich aber sofort die märchenhafte Stimmung, die magischen Schauplätze, das „Indien-Gefühl“, das dafür sorgt, dass man sich von der ersten Minute an in einer anderen Welt wähnt, hervorragend unterhalten wird und die Figuren sofort ins Herz schließt.
Bald zeigte sich beim Hören jedoch, dass die Geschichte alles andere als harmlos und märchenhaft ist, dass es stattdessen um Kindesentführung (Täglich verschwinden in Indien 180 Kinder!), Korruption, Armut, Gewalt, Prostitution, Kinderarbeit, Hass auf Muslime, Perspektivlosigkeit und moderne Sklaverei geht. Deepa Anappara verpackt diese schwierigen Themen in eine amüsante, etwas naive, aber durchweg überzeugende und nie verharmlosende Geschichte, die einem beim Hören wirklich an die Nieren geht, und bei der einem das Kichern bisweilen im Hals steckenbleibt.
Die Charaktere empfand ich als wundervoll beschrieben, Anappara stellt sie mit all ihren Stärken und Schwächen dar, so dass man mit ihnen mitfühlen kann, auf sie wütend wird, mit ihnen leidet.
Das Hörbuch wird von Roman Knižka zudem großartig gelesen. Er intoniert die Geschichte mit kindlicher Begeisterung und gibt dem spannenden Plot die perfekte Stimme.
Die Detektive vom Bhoot-Basar ist ein wahrhaft wundervolles Buch, das leichtfüßig von den großen Problemen Indiens erzählt und das ich sehr empfehlen kann.
Deepa Anappara: Die Detektive vom Bhoot-Basar. Aus dem Englischen von pociao und Roberto de Hollanda. Gelesen von Roman Knižka. argon Verlag, 2020, 29,95 Euro.
Dieser Post gehört zum Kolonialismus-Monatsthema im Juni 2021.