Oliven und Asche von Ayelet Waldman und Michael Chabon

„Die Besatzung ist wie eine dunkle, schwere Wolke, die auf dem Land lastet. Wie ein Kloß im Hals. Manchmal droht sie, sich herabzusenken und uns gänzlich zu ersticken. Dann wieder kann es vorkommen, dass sie sich kurz lichtet. Niemals jedoch ganz. Keiner, der in ihrem Schatten lebt, kann die unterdrückerische Besatzung jemals vergessen.“ (Seite 134, Raja Shehadeh)

Ayelet Waldman und Michael Chabon haben sich für ihr gemeinsames Buch Oliven und Asche mit 24 renommierten Schriftstellern aus aller Welt zusammengetan und über das Leben der Palästinenser unter der Besatzung Israels geschrieben.

Das Ergebnis sind Essays und Geschichten von international bekannten Autoren wie Madeleine Thien, Dave Eggers, Mario Vargas Llosa, Taiye Selasi, Colm Tóibín, Eva Menasse und Anita Desai, die von Tod, Rassismus, Gleichgültigkeit, Egoismus, Erniedrigung, Verzweiflung, Hoffnungslosigkeit, Hilflosigkeit, Siedlungsbau, Menschenwürde, Wasser, Mobilfunk, Intifada, Checkpoints, Passagierscheinen, Seife, Straßensperren, Umwegen, Sperrzonen, Olivenhainen, Bulldozern, Flüchtlingslagern, Drogenproblemen, Willkür und Menschenrechten erzählen.

Die Lektüre von Oliven und Asche hat mich an vielen Stellen sehr wütend gemacht, denn obwohl ich mich schon sehr intensiv mit dem Nahostkonflikt beschäftigt habe, wurde mir hier die Willkür und die Schikane, mit der die Palästinenser tagtäglich konfrontiert werden, besonders eindringlich und eindrücklich nahegebracht. Ich empfand die Texte, die nicht nur verschiedene Facetten des Konflikts ansprechen, sondern sich aufgrund der verschiedenen Autoren auch sprachlich und stilistisch sehr unterscheiden, als sehr bewegend und in einem Ausmaß aufklärend, wie ich es bislang eher selten erlebt habe.

Dabei hat mir vor allem die Komplexität der Schilderungen gefallen, denn die Autoren betrachten beide Seiten – die israelische und die palästinensische – und erklären dadurch Ursache und Wirkung. Diese differenzierte Herangehensweise ist mir besonders bei Mario Vargas Llosa aufgefallen, einem Autor, den ich sehr schätze und der sich selbst als Israel-Freund, als Befürworter eines jüdischen Staates in der Region sieht, der aber nichtsdestotrotz die menschenunwürdige Situation der Palästinenser beklagt und deutlich macht, dass Israel mit seiner gegenwärtigen Politik Menschenrechte mit Füßen tritt.

Obwohl ich eine sehr schnelle Leserin bin, habe ich an Oliven und Asche sehr lange gelesen, weil ich mir Zeit lassen wollte, mich auf die unterschiedlichen Erzähler und die verschiedenen Aspekte einzulassen. Ich habe das Buch in kleinen Häppchen konsumiert und finde, dass dies genau richtig war, um die ganze Bandbreite des Erzählten aufzunehmen und verdauen zu können.

Oliven und Asche bietet Einblicke in den Alltag unter der israelischen Besatzung und berichtet damit von Themen, die man in den Nachrichten kaum liest oder hört, die einem allenfalls dann geläufig sind, wenn man Freunde und Bekannte in Palästina hat.

Das Buch ist eine wertvolle und meisterhaft geschriebene Sammlung von Geschichten über eine große Ungerechtigkeit, die betroffen, wütend und hilflos machen und deren gemeinsamer Nenner ist, dass sie dem Leben der Palästinenser unter der Besatzung ein Gesicht geben.

Ayelet Waldman und Michael Chabon (Hrsg.): Oliven und Asche. Schriftstellerinnen und Schriftsteller berichten über die israelische Besatzung in Palästina. Übersetzt von Bettina Abarbanell, Giovanni Bandini, Thomas Brückner, Andrea Fischer, Dirk van Gunsteren, Brigitte Hilzensauer, Maria Hummitzsch, Rainer Kersten, Kristian Lutze, Miriam Mandelkow, Dorothee Merkel, Michael Schickenberg, Klaus Timmermann, Ulrike Wasel und Adelheid Zöfel. Kiepenheuer & Witsch, 2017, 560 Seiten; 28 Euro.

Dieser Post gehört zum Kolonialismus-Monatsthema im Juni 2021.

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