„Was bedeutet es für mich, wenn ich weder in der Heimat noch in der Fremde leben darf?“
Vor drei Jahren und vier Monaten ist der Ich-Erzähler Karim Mensy als irakischer Flüchtling nach Deutschland gekommen, und nun bezahlt er wieder einen Schlepper, der ihn außer Landes bringen soll, denn in Deutschland darf er nicht bleiben.
Kurz vor seiner Ausreise geht er wütend zur Ausländerbehörde und zwingt seine Sachbearbeiterin, ihm endlich einmal zuzuhören. Er erzählt ihr und dem Leser von seiner Kindheit und Jugend im Irak, von seiner Flucht und seiner Ankunft in Deutschland, vom Asylbewerberheim und Asylverfahren, von Ausgrenzung und Vorurteilen, von ständigen Konflikten und lähmender Langeweile, vom Versuch, sich zu integrieren, und den Steinen, die ihm die Behörden in den Weg gelegt haben.
Ich habe vor einem Jahr Die Orangen des Präsidenten von Abbas Khider gelesen und war begeistert von diesem Roman. Ich habe mich aus diesem Grunde trotz der recht kritischen Rezensionen auf Amazon sehr auf Ohrfeige gefreut.
Mir hat der Roman extrem gut gefallen, was vielleicht daran liegt, dass ich mich in den letzten Wochen sehr intensiv mit dem deutschen Asylrecht beschäftigt habe und durch das Buch weitere wertvolle und spannende Einblicke erlangen konnte. Vielleicht liegt es aber auch daran, dass ich die Protagonisten mit viel Empathie und Verständnis betrachten konnte und sie an keiner Stelle als Versager oder in einer Opferrolle gesehen habe. Im Gegenteil: Der Roman zeigt meines Erachtens sehr deutlich, dass Asylbewerber auf lange Sicht nichts geschenkt bekommen und einen schwierigen Weg vor sich haben, wenn sie in Deutschland bleiben, hier arbeiten und studieren, sich integrieren wollen.
Ich fand Khiders Schilderungen durchweg sehr eindrücklich: das verzweifelte Bemühen, sich zu integrieren, das lange Warten, das einen mit der Zeit mürbe macht, die schier unendliche Geduld, die man aufbringen muss, um das Asylverfahren durchzustehen, die täglich erfahrene Ausgrenzung, die jahrelange Ungewissheit und die verlorenen Hoffnungen. All dies beschreibt der Autor, der selbst aus dem Irak stammt und als Asylbewerber nach Deutschland kam, mit großer Klugheit und sehr authentisch, so dass man sich als Leser hervorragend in die teilweise ausweglose Lage der Asylbewerber versetzen kann.
Dabei liest sich der Roman sehr flüssig und schnell, die Sprache ist einfach, aber nicht simpel und nicht ohne Anspruch.
Ohrfeige behandelt ein hochaktuelles Thema und ist ein bewegender Roman, der mich oft zum Lachen gebracht, mich aber auch traurig gestimmt hat.
Abbas Khider: Ohrfeige. Hanser Verlag, 2016, 224 Seiten; 19,90 Euro.
Dieser Post ist Teil des Themas „Flucht und Migration“ im April 2017.