„Was wirklich der Entwicklung des Selbstmordes […] Vorschub leistet, ist nicht, daß man davon spricht, sondern wie man davon spricht.“ (Zitat von Émile Durkheim; Seite 105)
Thomas Macho beleuchtet in seinem Buch die verschiedenen Facetten des Suizids. Er berichtet von der Umwertung des Suizids von einer strafbaren Handlung zu den Möglichkeiten der aktiven Sterbehilfe, von den Anfängen und der Entwicklung der Suizidforschung, von suizidfaszinierten und suizidkritischen Epochen und Kulturen, von Suizid-Spielen, Tiersuiziden, Schülersuizid-Romanen, Scham und Schuld, Werther-Effekt, Pest und Cholera, Militarismus, Nationalsozialismus, Atomwaffen, Kollektivsuiziden, Selbstmordattentaten, Suizid in der Kunst, Suizid-Orten und Dignitas.
Ich habe lange gezögert, ob ich das Buch lesen soll, denn das Thema hat mich sehr interessiert, aber die Leseprobe empfand ich als eher trocken. Letztendlich hat das Bedürfnis, mich näher mit dem Thema Suizid zu beschäftigen, zum Kauf und zum Lesen des Buches geführt, und viele Passagen empfand ich als extrem gelungen, obwohl ich durchweg das Gefühl hatte, dass der Schreibstil nicht ganz meinem Geschmack entspricht.
Der Autor hat unglaublich umfassend recherchiert und die Befunde, Überlegungen, Informationen und Textstellen aus Theologie, Philosophie, Geschichte, Literatur, Malerei etc. gekonnt zusammengefasst. Das Buch lässt sich trotz des sprachlichen und inhaltlichen Anspruchs flüssig lesen, ist aber über weite Strecken hinweg durchaus etwas trocken und blutleer geschrieben.
Das Leben nehmen bietet spannende Einblicke ins Thema Suizid, ohne reißerisch zu sein, Methoden anzupreisen oder respektlos zu werden. Stattdessen stellt Machos Buch eine umfassende Sitten- und Kulturgeschichte des Suizids dar, die durch die detaillierten Quellenangaben auch wissenschaftlichen Ansprüchen genügt.
„Suizide müssen verhindert werden, weil sie den Überlebenden – sei es den Angehörigen oder den Suizidenten selbst, etwa durch die Folgen eines Suizidversuchs – Schmerzen und Leid zufügen und der Gesellschaft schaden. […] Dabei begehen jährlich – nach Berichten der Weltgesundheitsorganisation – signifikant mehr Menschen Suizid, als durch Kriege oder Gewalttaten ums Leben kommen. In Zahlen ausgedrückt: 2012 starben weltweit rund 56 Millionen Menschen, davon 620 000 durch Gewalt, nämlich 120 000 in Kriegen und etwa 500 000 durch Mord und Totschlag; aber mehr als 800 000 Menschen begingen im selben Zeitraum Suizid.“ (Seite 12)
Thomas Macho: Das Leben nehmen. Suizid in der Moderne. Suhrkamp Verlag, 2017, 532 Seiten; 28 Euro.
Dieser Post ist Teil des Monatsthemas „Psychische Störungen“ im Februar 2019.