„Die Sehnsucht nach dem Vergangenen ist eine Qual. […] Das Verlangen nach dem, was verschwunden ist, kann einen Menschen hinwegraffen wie Fieber oder Krebs. Nicht nur die unerträglichen Verluste, auch die kleinen Dinge.“ (Seite 99)
Hala Alyan erzählt in Häuser aus Sand, ihrem ersten Roman, der auf Deutsch erschienen ist, von der Familie Yacoub, die ursprünglich aus Jaffa stammt, aber im Zuge der Gründung des Staates Israel aus ihrer Heimat vertrieben wurde.
Die Geschichte um die Yacoubs beginnt mit Salma, die sich nach dem Verlust ihrer Villa und ihrer Orangenplantage in Jaffa zusammen mit ihrem Mann Hussam und ihren drei Kindern ein neues Leben in Nablus aufbaut. Die Traurigkeit, die der Verlust der Heimat in Salma und Hussam auslöst, zieht sich auch durch die nachfolgenden Generationen, die immer und immer weiterziehen müssen, deren Leben durch Vertreibung und Kriege, aber auch durch Heirat und Studium stets an einen neuen Ort verlegt werden muss, wo die einzelnen Familienmitglieder mehr oder weniger Fuß fassen können.
Ihre Wege führen die Yacoubs von Jaffa – früher Teil des britischen Mandatsgebiets Palästina, heute Teil Israels – nach Hebron im Westjordanland und schließlich nach Kuwait-Stadt, nach Beirut, nach Amman, nach Paris und nach New York.
Wie ein roter Faden zieht sich zudem der frühe Tod von Salmas Sohn Mustafa durch die Geschichte der Familie, von dem kaum geredet wird, dessen Einzelheiten unbekannt sind bzw. verschwiegen werden, und der selbst Auswirkungen auf diejenigen Kinder und Kindeskinder hat, die Mustafa nie kennengelernt haben.
Alyan, die selbst palästinensische Wurzeln hat und in Kuwait, Syrien und den USA aufgewachsen ist, erzählt die Geschichte um die Yacoubs und die Folgen der Nakba, der Flucht und Vertreibung der Palästinenser aus ihrer Heimat Palästina, auf eindringliche und berührende Weise. Der Roman, der autobiografische Züge aufweist, umspannt dabei den Zeitraum von 1963 bis 2014 und gibt die Geschehnisse aus verschiedenen Perspektiven, zu verschiedenen Zeiten und von verschiedenen Orten aus wieder. Dadurch bietet sich dem Leser ein einzigartiger Blickwinkel auf die Familie Yacoub, die für viele palästinensische Familien und Opfer der Nakba steht.
Der Roman ist durchsetzt mit arabischen Begriffen, die – sollte man damit nicht vertraut sein – in einem Glossar knapp erklärt werden. Mir hat dies sehr gut gefallen, da dadurch wie nebenbei arabisches und palästinensisches Lebensgefühl, die Lebenslust, die Traditionen und die Kultur, aber auch das Gefühl von Heimatlosigkeit und des Verlorenfühlens in der Fremde verdeutlicht werden. Beim Lesen spürt man auf jeder Seite die Zerrissenheit zwischen den Kulturen, das Gefühl des Fremdseins, die Trauer ob des Verlusts der Heimat und die Tatsache, dass „Heimat“ nicht nur ein Ort ist, sondern alle Dinge und Kleinigkeiten beinhaltet, die man mit diesem Ort assoziiert.
Alyan erzählt sehr detailreich von ihren Protagonisten, die stets überzeugend agieren und lebensnah wirken, so dass man sich beim Lesen dieses wundervollen Buches fast als Teil der Familie fühlt, sich in ihre Träume und Sehnsüchte hineinversetzen kann, aber auch die tiefe Traurigkeit spürt und das Unvermögen, glücklich zu sein, weil etwas Wichtiges und Elementares fehlt, vollkommen nachvollziehen und mitfühlen kann.
Am Ende führt Alyan alle Fäden ihres einfühlsam geschriebenen Romans, der gekonnt konstruiert wurde, zusammen, so dass ich Häuser aus Sand in jeder Hinsicht empfehlen kann.
Hala Alyan: Häuser aus Sand. Aus dem Englischen von Michaela Grabinger. DuMont Buchverlag, 2018, 396 Seiten; 24 Euro.
Dieser Post ist Teil des Levante-Monatsthemas im August 2019.
Liebe Romy,
jetzt konnte ich mir endlich deine ganze Rezension durchlesen und bin wirklich angefixt! Am liebsten würde ich gleich das Buch kaufen und anfangen zu lesen. Es muss aber noch ein bisschen warten. Es stehen ein paar weitere Bücher bereits Schlange. 🙂
Glg, monerl
Hallo, liebe Moni,
irgendwann hast du bestimmt Zeit dafür, und dann bin ich sehr gespannt, was du dazu sagst! Liebe Grüße!