Wildauge von Katja Kettu

„Ich hatte das Gefühl, als wäre ich so angesehen worden, wie ich noch nie zuvor angesehen worden war.“ (Seite 36 der gebundenen Ausgabe)

Lappland im Sommer 1944: Der deutsche Offizier Johannes Angelhurst soll als Fotograf die finnischen Verbündeten porträtieren. Da trifft er auf eine Hebamme, die Johannes schließlich „Wildauge“ nennt.

Wildauge fühlt sich sofort zu Johannes hingezogen, und als Johannes bald darauf ins Lager Titowka versetzt wird, folgt Wildauge ihm und lässt sich als Krankenschwester in das Kriegsgefangenenlager einschleusen, um in seiner Nähe zu bleiben.

Wildauge ist ein Roman, der einem beim Lesen bisweilen den Atem nimmt und der einen nach der Lektüre noch lange beschäftigt. Dies liegt einerseits an der Liebesgeschichte zwischen Johannes und Wildauge, die einen voll und ganz gefangen nimmt, andererseits an den brutalen Schilderungen des Lagerlebens sowie an der phantasievollen Sprache, mit der Katja Kettu ihre Geschichte erzählt.

Die Beziehung zwischen Johannes und Wildauge wird von Kettu auf ebenso zarte wie explizite und bisweilen fast ordinäre Weise geschildert, so dass der Leser an Höhen und Tiefen teil hat, die Dynamik der Beziehung verstehen und miterleben kann.

Die Ereignisse im Lager, aber auch an anderen Schauplätzen, sind bisweilen extrem brutal, gehen an die Grenze des Aushaltbaren, so dass ich den Roman nicht für Leser empfehle, die eher zartbesaitet sind oder allzu explizite Schilderungen von Gewalt schlecht ertragen oder nicht ertragen wollen.

Sprachlich ist der Roman ein echtes Meisterwerk: Kettu spielt mit Wörtern und Wortneuschöpfungen, das Resultat ist eine einzigartige Sprache, die den Dingen und Menschen einen bisher unbekannten Namen gibt, bisweilen derb und bisweilen blumig ist, die Ereignisse auf den Punkt bringt und stets ins Schwarze trifft.

Die wechselnden Zeitebenen und die unterschiedlichen Perspektiven erhöhen die Spannung in diesem gelungenen Roman und machen von Anfang an neugierig auf die Ereignisse und den Verlauf der Geschichte.

Die in Wildauge vorgestellten Tagebücher und Aufzeichnungen stammen von Zeitzeugen, und am Ende des Romans findet sich ein Nachwort von Helena Angelhurst.

Katja Kettu: Wildauge. Aus dem Finnischen von Angela Plöger. Ullstein Taschenbuch, 2015, 416 Seiten; 9,99 Euro.

Dieser Post gehört zum Finnland-Monatsthema im Januar 2020.

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