„Der Ausweg aus einer zu hohen oder zu langen Nutzung von Psychopharmaka liegt im psychosozialen Raum, in unserer Mitmenschlichkeit. Dann aber haben Psychopharmaka nicht mehr den zentralen Stellenwert in der Begleitung und Behandlung, den sie in den letzten Jahrzehnten innehatten. Dann sind sie nur mehr ein weiteres Element in der Begleitung und Behandlung, das weit überwiegend nur vorübergehend im Rahmen von Krisen für einige Zeit eingesetzt wird. Sie sind keine Wunderpillen mehr, sondern psychoaktive Substanzen mit Vor- und Nachteilen, mit erwünschten und unerwünschten Anwendungswirkungen, mit kurzzeitigen und langfristigen Effekten. Oftmals überwiegen bei ihnen langfristig die negativen Effekte, wohingegen sie kurzfristig meistens durchaus positive Wirkungen haben.“ (Seite 48)
Bevor Uwe Bernd Schirmer detailliert auf das Medikamententrainingsprogramm mit Grundlagen und der genauen Durchführung eingeht, widmet er sich in seinem Buch Psychopharmakotherapie und Empowerment der Frage, ob Betroffene Psychopharmaka einnehmen sollten oder nicht. Hierfür lässt er Betroffene zu Wort kommen, die von Nebenwirkungen, Folgeschäden, fehlender Unterstützung beim Absetzen, aber auch von Symptomfreiheit durch Antipsychotika berichten.
Der Behandler Jann E. Schlimme, von dem ich bereits Die abklingende Psychose und Medikamentenreduktion und Genesung von Psychosen gelesen habe, gibt zudem Einblicke in die Wirkungsweise von Psychopharmaka, stellt verschiedene Substanzklassen vor, bietet Informationen zur Studienlage bezüglich Wirksamkeit und Schädlichkeit, macht die Auswirkungen auf die Neurobiologie deutlich und spricht sich für krisengebundene Nutzung, Intervalltherapie und kontrollierte Dosisreduktion aus.
Des Weiteren geht Schirmer näher auf Therapietreue, Gründe für Non-Adhärenz sowie auf partizipative Entscheidungsfindung ein, bevor er die vier Stufen des Medikamententrainingsprogramms vorstellt.
Besonders gefallen hat mir an Psychopharmakotherapie und Empowerment, wie wertschätzend das Buch geschrieben ist, dass Schirmer persönliche Erfahrungen von Betroffenen mit fachlichen Informationen und Ergebnissen von Studien verbindet und so die ganze Bandbreite der Psychopharmakotherapie abdeckt.
Schirmer stellt das Trainingsprogramm sehr genau und übersichtlich sowie auf sehr verständliche Weise vor, so dass man sich als Behandler (aber auch als Betroffener) ganz problemlos an seinen Ausführungen entlanghangeln kann. Er macht zudem sehr deutlich, warum das Thema so wichtig ist, wieso eine medikamentöse Behandlung nicht die alleinige Entscheidung eines Psychiaters sein darf, sondern warum die Aufklärung über Nebenwirkungen, der Konsens mit dem Betroffenen, das Anhören von Problemen und das Finden von Alternativen so essentiell sind.
Ich finde es wunderbar, dass es mittlerweile solche Bücher gibt und immer mehr Behandler eine echte Zusammenarbeit mit Betroffenen schätzen. Gleichzeitig macht es mich traurig, wie lange diese Entwicklung gedauert hat und dass es unzählige Betroffene gibt, die davon nicht mehr profitieren können.
„Mit den ‚Wahnvorstellungen‘, die ich mithilfe der Neuroleptika nun nicht mehr wahrnehme, sind auch alle anderen Gedanken und Assoziationen oder kreativen Regungen verschwunden. Natürlich auch die Einfälle, Eingebungen und das ‚Sehen‘ von Zusammenhängen, die ich vermutlich nicht sehen soll, weil sie ‚als psychotische Symptome‘ bekämpft werden müssen.“ (Seite 17)
Uwe Bernd Schirmer: Psychopharmakotherapie und Empowerment. Ein Trainingsprogramm zum selbstständigen Medikamentenmanagement. Psychiatrie Verlag, 2020, 133 Seiten; 25 Euro.
Ein Gedanke zu „Psychopharmakotherapie und Empowerment. Ein Trainingsprogramm zum selbstständigen Medikamentenmanagement von Uwe Schirmer“