Eine überflüssige Frau von Rabih Alameddine

„Ich bin der Blinddarm meiner Familie, das überflüssige Anhängsel.“ (Seite 25)

Die 72-jährige Aaliya lebt allein in ihrer Beiruter Wohnung und blickt zurück auf ein einsames und entbehrungsreiches Leben, nachdem ihr leiblicher Vater früh verstorben ist, sie im Alter von 16 Jahren verheiratet und vier Jahre später geschieden wurde.

Aaliyas große Freude und Liebe ist die Literatur, die sie nicht nur liest und als Buchhändlerin verkauft, sondern auch übersetzt. Jedes Jahr am 1.1. beginnt sie mit einem neuen Buch, das sie unter Zuhilfenahme der englischen und französischen Übersetzung ins Arabische überträgt. Nie handelt es sich um ein Buch, das ursprünglich in Englisch oder Französisch geschrieben wurde, nie veröffentlicht sie ihre Übersetzung. Stets legt sie das fertige Manuskript in einem Karton ab, den sie ins Dienstmädchenzimmer oder ins Dienstmädchenbad ihrer Wohnung stellt und dort für Jahre und Jahrzehnte lagert.

Episodenhaft erzählt Aaliya von ihrem Leben, von ihrer einzigen Freundin Hannah, vom Bürgerkrieg und von den drei Hexen – drei Frauen, die im gleichen Haus wie Aaliya leben.

Immer wieder werden die Aaliyas Erinnerungen an ihr Leben von Gedanken über Literatur, Philosophie, Mythologie und Musik sowie von Zitaten aus Büchern unterbrochen, so dass Eine überflüssige Frau nicht nur ein Roman über ein Menschenleben und den Alltag im und nach dem Krieg ist, sondern auch ein Roman über das Lesen an sich und über die Liebe zur Literatur.

Der Roman wird in sehr ruhigem Ton erzählt, und über weite Strecken hinweg hat mich Rabih Alameddine mit seinen sprachlich anspruchsvollen Beschreibungen und seinen lebendigen Schilderungen sehr fesseln können, obwohl er mit seinen Ausführungen immer wieder abschweift. Dieser ausufernde Erzählstil hat mich lange nicht gestört, doch ab der Hälfte des Buches empfand ich die Abschweifungen bisweilen als etwas anstrengend und langatmig.

Nichtsdestotrotz hat mich das Buch bei der Stange gehalten, was sicherlich zum Teil daran lag, dass ich neugierig auf weitere Literaturquellen war und Alameddine immer wieder kluge Gedanken über das Leben im Libanon und dem Rest der Welt einstreut. Alameddine bietet in seinem vierten Roman Eine überflüssige Frau einen unglaublichen Fundus an Literaturquellen, wodurch man nicht nur auf bekannte Werke trifft, sondern auch Neues entdecken kann. Mich hat der Roman zum Lesen und Wiederlesen animiert und inspiriert, und er macht neugierig auf bestimmte Autoren und Bücher.

Das Ende hat mich wieder vollends mit dem etwas ausufernden Mittelteil versöhnt und macht Lust, nochmals von vorne zu beginnen und die Geschichte um Aaliya nochmals zu verfolgen.

Rabih Alameddine: Eine überflüssige Frau. Aus dem amerikanischen Englisch von Marion Hertle. Louisoder Verlag, 2017, 448 Seiten; 24,90 Euro.

Dieser Post ist Teil des Levante-Monatsthemas im August 2019.

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