„Als ich im Sommer 1975 hierherkam, wollte ich auch unbedingt ein Meisterwerk schreiben. Ich war von der Idee und dem Wunsch besessen, ein berühmter Schriftsteller zu werden. […] Gewiss, heute bin ich ein ‚großer Schriftsteller‘, wie Sie es nennen, aber ich lebe allein in diesem riesigen Haus. Mein Leben ist leer, Marcus. Lassen Sie nicht zu, dass der Ehrgeiz Sie auffrisst. Sonst wird Ihr Herz einsam und Ihre Feder traurig.“ (CD 1, Track 7)
Im August 1975 setzt Deborah Cooper im Städtchen Aurora im Bundesstaat New Hampshire einen Notruf bei der Polizei ab: Sie hat eben beobachtet, wie ein Mädchen im Wald von einem Mann verfolgt wurde.
Später wird Cooper tot in ihrem Haus aufgefunden, und das Mädchen, die 15-jährige Nola Kellergan, verschwindet spurlos.
33 Jahre später: Marcus Goldman hat mit seinem ersten Roman einen fulminanten Erfolg gefeiert und sich ein wenig auf seinen Lorbeeren ausgeruht. Nun bekommt er mächtig Druck von seinem Verlag, hat eine ausgewachsene Schreibblockade und quartiert sich deshalb bei seinem alten Mentor und Freund Harry Quebert in Aurora ein.
Kurz nach Goldmans Besuch in Aurora wird auf Queberts Grundstück die Leiche von Nola gefunden. Quebert ist schnell der Hauptverdächtige, und Goldman möchte die Wahrheit über den Todesfall und über die Liebe zwischen seinem Freund und Nola herausfinden.
Die Wahrheit über den Fall Harry Quebert stand schon seit vielen Jahren ungehört in meinem Regal, obwohl es mir mehrfach empfohlen wurde. Aufgrund des Erscheinens des zweiten Bandes um Goldman (Die Affäre Alaska Sanders) war für mich klar, dass jetzt die Zeit für Die Wahrheit über den Fall Harry Quebert gekommen war.
Ich kann die Lobeshymnen auf das Buch überhaupt nicht nachvollziehen, nachdem ich mich durch die vielen, vielen Hörbuchstunden gehört habe. Zwar ist Torben Kessler einer der besten Hörbuchsprecher und liefert hier eine sehr gelungene Lesung ab, der ich gerne gelauscht habe, aber inhaltlich und formal habe ich oft mit dem Kopf geschüttelt.
Die Liebesgeschichte um Quebert und Nola fand ich an keiner einzigen Stelle berührend, authentisch oder mitreißend, sondern durchweg banal und vollkommen unnachvollziehbar. Stattdessen gibt es hier ganz viel Drama, das unglaublich aufgesetzt wirkt, ganz viel Schmachterei ohne jede Substanz und ebenso nerviges wie unreifes Rumbuchstabiere („Nola. N. O. L. A.“).
Alle (wirklich ausnahmslos alle!) Figuren fand ich unangenehm und unsympathisch, aber auch hölzern und oberflächlich charakterisiert.
So sonderbar es klingen mag: Über viele Stunden des Hörbuch-Hörens hinweg fand ich den Roman trotz der zahlreichen Kritikpunkte und trotz meines ständigen Augenrollens irgendwie unterhaltsam.
Den Todesstoß versetzt hat mir dann aber die falsche, extrem schlecht recherchierte Verwendung von psychiatrischen Diagnosen, die mich endlos geärgert hat, da sie absolut vermeidbar gewesen wäre, wenn man kurz in ein Psychiatriebuch (oder auf Wikipedia) schaut.
Die Auflösung der Geschichte war dann hanebüchen und voller Logikfehler. Puh! Nun steht Die Affäre Alaska Sanders schon in meinem Regal, und ich hoffe inständig, Joël Dicker hat die letzten Jahre dazugelernt.
Joël Dicker: Die Wahrheit über den Fall Harry Quebert. Aus dem Französischen von Carina von Enzenberg. Ungekürzte Lesung von Torben Kessler. Hörbuch Hamburg, 2013; 11,95 Euro.