Das Verschwinden des Josef Mengele von Olivier Guez

„Bis zu den Zerstörungen der letzten Kriegsjahre haben alle vom System profitiert. Niemand hat Einspruch erhoben, als die Juden auf Knien die Bürgersteige scheuerten, und keiner hat etwas gesagt, als sie plötzlich über Nacht verschwunden sind.“

Helmut Gregor befindet sich an Bord des Ozeandampfers North King auf dem Weg von Italien nach Argentinien. Er hat einen langen Weg hinter sich, ist im Januar 1945 aus Polen geflohen und in der Wehrmacht untergetaucht, hat dann mehrere Wochen in einem amerikanischen Gefangenenlager verbracht, lebte unter falscher Identität in Bayern, und möchte sich nach vier Jahren der Rastlosigkeit und der Angst vor Entdeckung nun in Lateinamerika ein neues Leben aufbauen.

Helmut Gregor ist Josef Mengele, der berühmt-berüchtigte Lagerarzt von Auschwitz, der mit seinen menschenverachteten medizinischen Experimenten in die Annalen der Geschichte eingegangen ist.

Mit der Unterstützung von Juan und Eva Perón sowie von zahlreichen Menschen mit nationalsozialistischer Gesinnung gelingt es Mengele, sich für seine Verbrechen aus der Verantwortung zu ziehen und in Lateinamerika unterzutauchen.

Ich habe vor vielen Jahren Ulrich Völkleins Mengele-Biografie gelesen und interessiere mich generell sehr für das Dritte Reich und die Shoa. An Völkleins Buch kann ich mich kaum erinnern, und ein weiteres Buch über Mengele zu lesen, fand ich spannend.

Ich empfand Das Verschwinden des Josef Mengele als fesselnde Lektüre, auch wenn es immer wieder langatmigere Passagen gab, und ich einige Aspekte durchaus plakativ und etwas niveaulos fand. Alles in allem bietet Olivier Guez‘ Roman jedoch einen sehr informativen und authentischen Einblick in Mengeles Flucht, Untertauchen, Leben in Lateinamerika, seinen Tod und natürlich auch in seine medizinischen Experimente. Dabei hält sich Guez oft an historische Fakten, hat viel recherchiert und schafft es, dass der Leser einen lebendigen Eindruck von Mengeles Person und Persönlichkeit bekommt. Immer wieder betritt der Autor aber auch fiktiven Boden, und das waren oft die Momente, in denen mich das Buch weniger gepackt hat.

Spannend fand ich zudem die Einblicke in die Politik der Peróns, mit der ich mich bislang kaum beschäftigt habe, obwohl mich lateinamerikanische Geschichte durchaus interessiert.

Durch die einfache Sprache und die häufig sehr kurzen Kapitel lässt sich Das Verschwinden des Josef Mengele sehr flott lesen, und trotz kleinerer Kritikpunkte kann ich Guez‘ Buch allen empfehlen, die sich Mengele über einen Roman annähern möchten.

Olivier Guez: Das Verschwinden des Josef Mengele. Übersetzung von Nicola Denis. Aufbau Verlag, 2018, 224 Seiten; 20 Euro (gebundene Ausgabe) bzw. 15,99 Euro (Kindle Edition).

Dieser Post ist Teil des Monatsthemas „Argentinien und Chile“ im März 2019.

Dazu hab ich auch was zu sagen!