„Die Verlockungen der Fremden“
Auf den Spuren der Entdecker des 19. Jahrhunderts folgt Tim Butcher dem zweitlängsten und wasserreichsten Strom Afrikas und schildert die blutige Geschichte des Kongo – eine Geschichte maßloser Ausbeutung und entsetzlicher Gräueltaten.
Für seine abenteuerliche Reise nimmt der Autor zahlreiche Entbehrungen und Gefahren in Kauf und verwirklicht seinen großen Traum von der Erkundung des Kongo im 21. Jahrhundert.
Nichts scheint einfacher zu sein, als zu Zeiten der Expeditionen von Livingstone oder Stanley und der Kolonisierung durch die Belgier. Wo es im 20. Jahrhundert eine funktionierende Infrastruktur gab, ist heute kein sicherer und unkomplizierter Transport mehr möglich. Der Kongo hat die modernen Zeiten bereits hinter sich gebracht – „Großväter kannten die Moderne besser als ihre Enkel“.
Neben historischen Fakten und detailreichen Beschreibungen von politischen und gesellschaftlichen Hintergründen entwirft der Autor ein faszinierendes Bild eines Landes, das in völliger Anarchie versunken ist, in dem nichts mehr funktioniert, in dem einzig Gewalt und Korruption blühen und fortbestehen.
Blood River liest sich spannend und unterhaltsam wie ein Roman, ist jedoch sehr viel mehr – ein packender Tatsachenbericht, eine Reisebeschreibung, ein Wiederaufleben des kolonialen Kongo, eine Einführung in politische Zusammenhänge und letztendlich ein Armutszeugnis für die westliche Welt.
Blood River nimmt den Leser mit auf eine Reise ins Herz der Finsternis. Man nimmt die Schwüle, den Schmutz, die Gefahr förmlich wahr, spürt die Verzweiflung, die Ohnmacht, die Einsamkeit und die Hoffnungslosigkeit. Das Buch ist somit ein großartiger Beitrag zu einem reichen Land, das dennoch zu einem der ärmsten Staaten der Welt gehört, und eine Reise an einen Ort, den die Welt bereits vergessen hat.
Tim Butcher: Blood River. Meine Reise ins dunkle Herz des Kongo. Übersetzung von Klaus Pemsel. Piper Verlag, 2010, 340 Seiten; 16 Euro.
Dieser Post gehört zum Kolonialismus-Monatsthema im Juni 2021.