„Russland ist verloren. Sie haben es zugrunde gerichtet.“
Das Hörspiel beginnt mit dem dritten Teil von Krieg und Frieden: Napoleon Bonaparte ist auf dem Höhepunkt seiner Macht angelangt und hat bei der Drei-Kaiser-Schlacht bei Austerlitz (1805) die Armeen des österreichischen Kaisers Franz I. und des russischen Zaren Alexander I. besiegt.
Im weiteren Verlauf des Hörspiels erfahren wir vom Leben und Schicksal der Familie Bolkonskij, der Familie Rostow und der Besuchows. Wenn sich die Geschichte nicht um Kampfhandlungen im Krieg mit den Franzosen dreht, hört der Leser von Teestunden, Bällen, Verlobungen, Verliebtheit etc. und erhält so Einblicke in den Alltag des russischen Adels sowie in die Geschichte Russlands und Europas.
Ich habe ein Faible für russische Autoren des 19. Jahrhunderts und habe einige Werke von Fjodor Michailowitsch Dostojewski, Alexander Sergejewitsch Puschkin und Lew Nikolajewitsch Tolstoi gelesen. Trotz großer Begeisterung für Tolstois Anna Karenina und seine Kreutzersonate habe ich mich aufgrund der Länge und der Komplexität jedoch nie an Krieg und Frieden gewagt. Durch das Hörspiel aus dem Jahre 1965 habe ich nun einen unterhaltsamen und spannenden Einblick in Tolstois Mammutwerk bekommen.
Der Einstieg ins Hörspiel fiel mir verhältnismäßig schwer, da die Handlung mitten im Buch beginnt und unzählige Protagonisten vorgestellt werden. Dabei fand ich das Booklet sehr hilfreich, und ich empfehle jedem Hörer des Hörspiels, zuerst das Booklet zu lesen, in dem man viele Informationen zu Tolstoi, einen Familienstammbaum, eine Auflistung aller Figuren sowie einen kurzen geschichtlichen Abriss bekommt.
Tolstois Werk ist opulent und komplex, lebendig erzählt und durch den Detailreichtum sehr authentisch. Das Hörspiel ist hervorragend umgesetzt, verlangt aufgrund der Komplexität des Buches zwar die volle Aufmerksamkeit und eignet sich nicht zum Nebenbeihören, ist aber durch die verschiedenen (und großartigen) Sprecher und die zahlreichen Hintergrundgeräusche sehr fesselnd und unterhaltsam.
Wer bereits Erfahrung mit russischen Autoren des 19. Jahrhunderts hat, dürfte sich nicht über die vielen Passagen in Französisch wundern, die sich durch das gesamte Buch ziehen. Ich selbst spreche kaum Französisch, habe aber fast alles verstanden, und diese Passagen tragen zusätzlich zur Authentizität des Buches bzw. Hörspiels bei, denn Französisch war im 19. Jahrhundert die bevorzugte Sprache des russischen Adels.
Krieg und Frieden und die Hörspielbearbeitung von Gert Westphal aus dem Jahre 1965 zeichnen ein komplexes und opulentes Sittengemälde des zaristischen Russlands zu Beginn des 19. Jahrhunderts.
Lew Tolstoi: Krieg und Frieden – Das Hörspiel. Herausgegeben von Gert Westphal. der Hörverlag, 2016; 36,99 Euro.
Ein Gedanke zu „Krieg und Frieden von Lew Nikolajewitsch Tolstoi (Hörspiel)“