50 von Hideo Yokoyama (Hörbuch)

„Manchmal gibt es auch zwei Wahrheiten.“ (CD 1, Track 23)

Soichiro Kaji ist Polizist und gilt bei seinen Kollegen der Präfektur W in der japanischen Provinz als vorbildlich. Doch eines Tages zeigt sich der 49-Jährige selbst an: Er hat seine an Alzheimer-Demenz erkrankte Ehefrau auf deren Wunsch getötet.

Der Fall scheint klar, aber Kajis Geständnis ist lückenhaft. Warum hat er sich erst zwei Tage nach dem Delikt gestellt? Was hat er in der Zwischenzeit getan?

Kaji verweigert jede Aussage über diese beiden Tage, doch der Kriminalkommissar Kazumasa Shiki lässt nicht locker und durchsucht Kajis Wohnung. Dort findet er eine Kalligrafie mit den Worten ‚Der Mensch lebt fünfzig Jahre.‘. Was hat es damit auf sich? Plant Kaji seinen Suizid?

50 war meine erste Begegnung mit Hideo Yokoyama, aber nicht meine erste Begegnung mit japanischen Kriminalromanen, denn ich liebe die Bücher von Keigo Higashino.

Letztendlich finde ich Yokoyama stilistisch und inhaltlich wenig vergleichbar mit Higashino, aber beiden gemein ist, dass sie auf unterhaltsame Weise ein Abbild der japanischen Gesellschaft bieten. Vordergründig kann man hier einen ungewöhnlichen, aber spannenden Kriminalroman lesen, aber in einer zweiten Ebene erfährt man, was das Leben in Japan ausmacht, was als Schande empfunden wird, warum sich Menschen genauso verhalten, wie sie sich verhalten, was sie denken und fühlen. Damit unterscheiden sich japanische Krimis ganz entschieden von Krimis aus anderen Ländern und Regionen, und für mich macht das den großen Reiz japanischer Krimis aus.

Ein paar Vorkenntnisse bezüglich Japan und der japanischen Gesellschaft schaden bei der Lektüre/dem Hören sicher nicht, damit man die Tragweite gewisser Aktionen und Reaktionen besser nachvollziehen kann. Da 50 aber auch einen guten Einblick in die Gepflogenheiten, die Mentalität und die Kultur bietet, ist meiner Meinung nach jedoch auch ein Kaltstart möglich, obwohl dann die Gefahr besteht, dass man am Ende sagt „Echt? Deshalb?“.

Der Krimi wird nicht nur packend und meisterhaft erzählt, sondern auch hervorragend von Gerhard Garbers gelesen, so dass man sofort Zugang zur Geschichte bekommt und dann stundenlang am Stück zuhören kann.

Hideo Yokoyama: 50. Aus dem Japanischen von Nora Bartels. Gelesen von Gerhard Garbers. Atrium Verlag AG, 2020; 22 Euro.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert