„Nichts fehlte, außer mir. Ich war anderswo.“
Im Alter von 43 Jahren erlitt Jean-Dominique Bauby, Chefredakteur der Elle, einen Hirnstamm-Infarkt, woraufhin er vollständig gelähmt war, nicht sprechen und nur durch Blinzeln mit seiner Umwelt interagieren konnte.
Schmetterling und Taucherglocke wurde von Bauby mit seinem linken Augenlid diktiert. Bauby starb nur wenige Tage nach der Erstveröffentlichung in Frankreich an Herzversagen.
Bauby erzählt voller Sarkasmus und Galgenhumor von seinem Leben vor und nach seinem Hirnstamm-Infarkt. Bisweilen möchte man lachen ob seines Wortwitzes, doch bleibt einem das Lachen sofort im Halse stecken. Seine Sicht der Dinge ist gnadenlos und trifft ins Schwarze. Dies wirkt sicherlich auf viele verstörend, ist meiner Meinung nach jedoch absolut authentisch.
Ich habe in meiner Krankenpflege-/Neurochirurgie-Zeit vor vielen Jahren bereits mit Locked-in-Patienten gearbeitet und finde den Perspektivwechsel, den Bauby bietet, spannend und zugleich extrem berührend. Dinge bekommen durch seine Darstellung eine völlig neue Wertigkeit. Als besonders einprägsam empfand ich die Situation, als Bauby zum ersten Mal in einen Rollstuhl mobilisiert wurde – etwas, von dem man glaubt, dass es der Patient selbst als Fortschritt erlebt, dass er froh ist, dass er das Bett verlassen kann, dass man ihm einen Gefallen tut. Bauby sagt dazu: „Vom bloß Kranken war ich zum Behinderten geworden.“ und „[…] aber ich bin ruhig geblieben, ganz damit beschäftigt, die brutale Abwertung meiner Zukunftsperspektive zu ermessen.“.
Ich empfinde Baubys Buch als hochgradig emotional, obwohl einige Leser seine Emotionslosigkeit bemängeln. Bauby ist wütend, enttäuscht, verzweifelt, trauert um sein verlorenes Leben, weint diskret.
Schmetterling und Taucherglocke ist ein erschütterndes und bewegendes Zeugnis eines Patienten mit Locked-in-Syndrom und ein Buch, das man aufgrund des seltenen Perspektivwechsels unbedingt lesen sollte.
Jean-Dominique Bauby: Schmetterling und Taucherglocke. Übersetzung von Uli Aumüller. dtv, 1998, 144 Seiten; 8,90 Euro.
Dieser Post ist Teil des Monatsthemas „Körperliche Krankheit“ im April 2021.