„Alles in allem dürfte es eine ruhige, vielleicht sogar etwas langweilige Zeit werden, aber weiß Gott, genau das braucht er nach dem Wahnsinn in Indien, der ungesunden Hitze, der Barbarei, dem Gestank. Wie auch immer der Walfang vor Grönland aussehen mag, so ganz bestimmt nicht.“ (Seite 34)
Im Jahre 1859 verlässt das Walfangschiff Volunteer England und macht sich auf den Weg in die arktischen Gewässer der Baffin-Bucht.
An Bord des Schiffes befinden sich lauter Männer, die in der Vergangenheit belastende Dinge erlebt haben oder ein dunkles Geheimnis mit sich herumtragen. Der Leser begegnet z.B. Brownlee, der vor drei Jahren die Perceval bei einer Kollision mit einem Eisberg verloren hat und sich nun als Kapitän der Volunteer beweisen muss. Mit an Bord ist zudem der opiumabhängige Ire Patrick Sumner, der gerade aus dem Punjab zurückgekehrt ist und nun aus eher fadenscheinigen Gründen als Schiffsarzt auf der Volunteer angeheuert hat. Auch der Harpunierer Henry Drax macht sich mit der Volunteer auf den Weg ins Nordpolarmeer, nachdem er am Vorabend des Auslaufen des Schiffes einen Mann umgebracht hat.
Die Fahrt, von der sich alle eine finanziell lohnenswerte Zeit oder zumindest eine Flucht vor der Vergangenheit versprechen, wird für die gesamte Besatzung schließlich zu einem Albtraum.
Der Roman Nordwasser des britischen Autors Ian McGuire war ein New York Times-Bestseller, war für den Man Booker Prize 2016 nominiert und hat auch mir ausgezeichnet gefallen.
Bereits der Einstieg mit der Beschreibung der englischen Hafenstadt ist sehr düster, und als Leser weiß man gleich auf den ersten Seiten des Buches, in welchem Milieu man sich bewegt und welche menschlichen Abgründe man beim Lesen noch erwarten kann.
Auch im weiteren Verlauf ist der Roman unheilschwanger und bisweilen fast unaushaltbar brutal. Erzählt wird hier von kaputten und abgeklärten Männern, die kaum etwas zu verlieren haben, für die Mord, Tierquälerei und Gewalt gegen Menschen Normalität sind. Als Leser wird man Teil dieser Welt, die einem zwar fremd ist, aber authentisch, lebendig und detailreich nahegebracht wird, in die man ganz eintaucht, obwohl man genau dies oft gar nicht möchte und sich lieber von diesem Albtraum entfernen möchte.
Die Sprache McGuires ist derb und explizit, nichts wird hier beschönigt, nichts wird vorsichtig ausgedrückt. Die Vulgarität passt jedoch perfekt zum Milieu, in dem sich die Protagonisten und damit auch der Leser bewegen, und unterstreicht die düstere Atmosphäre des Buches, das von Alkohol, Drogen, Prostitution, Armut, Elend, Dreck, Gewalt und Tod handelt.
Nordwasser ist sicherlich keine Lektüre für zwischendurch, und bisweilen braucht man beim Lesen starke Nerven und einen robusten Magen, aber der Roman versetzt einen tatsächlich an einen anderen Ort und in eine vergangene Zeit, ist stimmungsvoll und von Anfang bis Ende spannend.
Ian McGuire: Nordwasser. Aus dem Englischen von Joachim Körber. mare, 2018, 352 Seiten; 22 Euro.
Dieser Post ist Teil meines Monatsthemas „Arktis und Antarktis“ im Januar 2021.
Eine sehr schöne Rezension, ich finde, du hast die Stimmung und den Ton der Geschichte sehr gut erfasst. Das macht Lust auf das Buch.
Grüessli,Daniela
Liebe Daniela,
hab vielen Dank für deine schöne Rückmeldung. Da freu ich mich sehr!
Noch einen wunderbaren Feiertag und sonnige Grüße aus Berlin,
Romy
Hallo Romy,
danke für die schöne Rezension! Werde das Buch nächsten Monat lesen und bin schon gespannt. Nach deinem Beitrag krieg ich so richtig Lust drauf, zumal ich düstere Geschichten sehr mag.
Liebe #litnetzwerk Grüße
Julian
Lieber Julian,
danke für deinen schönen Kommentar. Ich wünsche dir viel Spaß mit dem Buch, das dich bestimmt – genauso wie mich – völlig in seinen Bann schlagen wird.
Liebe Grüße,
Romy