Die Welt im Rücken von Thomas Melle (Hörbuch)

„Die bipolare Störung hat sich zwischen mich und alles gestellt, was ich sein wollte. Sie hat das Leben verunmöglicht, das ich leben wollte, selbst wenn ich von diesem kaum einen Begriff hatte. Sie hat die Bücher durchgeschüttelt, die ich schrieb. Und wenn sich jetzt einer vielleicht fragt, wieso der Typ so narzisstisch viel von seinen Texten labert, dann ist die Antwort: weil die Texte inzwischen mein Leben sind. Sonst hätte ich nämlich kaum eines. Vielleicht bessert sich das irgendwann, vielleicht nicht.“ (CD 6, Track 33)

Thomas Melle erzählt in Die Welt im Rücken von seiner Bipolar-I-Störung, die 1999 zu einem ersten Krankenhausaufenthalt führte. Melle berichtet vom Verlauf der Erkrankung, von Kontrollverlust und Erinnerungslücken, von manischen und depressiven Phasen, von Paranoia und Beziehungsideen, von verschiedenen Formen bipolarer affektiver Störungen, von Symptomen, Suizidalität und zerstörten Freundschaften.

„Das Drama, das eine erste Psychose auslöst, ist erheblich. Für einen selbst ist es ein unbegreiflicher, allumfassender Kick, der einen in himmelschreiende Sphären schleudert; für Freunde und Familie ist es die blanke Tragödie. Aus dem Nichts wird da einer, den man anders kennt, verrückt, buchstäblich verrückt, und zwar genauer, realer, peinlicher, als es in den Filmen, den Büchern gezeigt wird, wird wahnsinnig wie ein wildäugiger Penner, der den Straßenverkehr beschimpft, wird dumm, töricht, unheimlich. Aus dem Nichts wird der Freund zum Fremden an sich.“ (CD 2, Track 5)

Ich habe Die Welt im Rücken vor 6,5 Jahren noch vor meiner Verhaltenstherapie-Ausbildung erstmals gelesen, nun das neu erschienene Haus zur Sonne von Melle mit großer Begeisterung gelesen sowie eine Lesung mit Melle besucht. Das alles hat mich extrem beeindruckt, und deshalb habe ich jetzt endlich das Hörbuch zu Die Welt im Rücken gehört, das schon seit vielen Jahren in meinem Regal stand und das von Thomas Melle selbst eingelesen wurde, was das Ganze meiner Meinung nach noch genialer macht. Denn der Mann kann nicht nur schreiben – er kann auch ein Hörbuch perfekt einlesen.

Melle bietet in Die Welt im Rücken tiefe Einblicke in sein Erleben im Rahmen einer Depression, einer Manie und einer Psychose. Ich empfand es als extrem beeindruckend, wie reflektiert er ist, welche passenden Worte er findet, wie lebendig und genau er die verschiedenen Phasen seiner bipolaren Störung beschreiben kann, wie sehr er ein Einfühlen ermöglicht. Und so empfand ich das Hörbuch mit dem Abstand von 6,5 Jahren und mit meinem jetzigen Wissen über Psychosen und über bipolare Störungen sowie in der Lesung von Melle als noch besser als beim ersten Mal.

Melle hat mich mit seinem (Hör-) Buch extrem berührt, und am Ende wollte ich direkt wieder von vorne hören, denn dieses Buch ist wirklich etwas ganz, ganz Besonderes und rangiert unter meinen absoluten Lieblingsbüchern.

„Sollte ich eine weitere Manie haben, möge mir jemand dieses Buch in die Hand drücken. Sollte ich wieder dem Wahn verfallen, werde ich es als Schicksal hinnehmen. Ich meinte schon nach der zweiten Manie, eine dritte würde ich nicht überleben. Habe ich aber. Würde ich wieder. Ich mag mich wieder umbringen wollen, irgendwann. Dann werde ich dennoch weiterleben.

Dann werden diese Zeilen wie ein Gebet sein.“ (CD 7, Track 30)

Thomas Melle: Die Welt im Rücken. tacheles!/ROOF Music, 2017; 24,99 Euro.

Dazu hab ich auch was zu sagen!