„Entschuldigen Sie vielmals, Herr Professor, aber wenn alle Ihre Ratschläge sind wie dieser, verstehe ich nicht, warum die Leute so viel Geld bezahlen, um sich auf Ihre Couch legen zu dürfen!“ (CD 2, Track 3)
Im Jahre 1937 verlässt der 17-jährige Franz Huchel sein Heimatdorf in Oberösterreich – Nußdorf am Attersee – und geht nach Wien, um dort in einer Trafik, einem kleinen Tabak- und Zeitungsgeschäft, zu arbeiten.
In Wien begegnet er nicht nur Sigmund Freud, mit dem er sich schließlich anfreundet, sondern verliebt sich auch in das böhmische Mädchen Anezka, während sich die Stadt und das gesamte Land im Zuge von Hitlers Machtergreifung und dem zunehmend offener ausgelebten Antisemitismus immer mehr verändern.
Empfehlungen für Robert Seethalers Der Trafikant habe ich seit Monaten aus mehreren Richtungen bekommen, und die viele positive Resonanz auf das Buch hat mich – natürlich – neugierig gemacht, so dass ich mich entschieden habe, das ungekürzte Hörbuch zu hören.
Das Hörbuch wird sehr charmant und sehr eindringlich vom Autor selbst gelesen, was mir immer besonders gut gefällt, denn dadurch liest diejenige Person, die den Plot, die Figuren, die Szenerien und die Nuancen am besten kennt. Das hat mich auch bei Der Trafikant begeistert und beeindruckt, und das Hören des Hörbuchs war wirklich von Anfang bis Ende spannend und faszinierend.
Seethaler hat mit Der Trafikant ein sehr kluges und zudem stimmungsvolles Buch geschrieben, das den Leser/Hörer ins Wien der 1930er Jahre versetzt, eine andere Zeit aufleben lässt und zudem durch den Sprachwitz des Autors perfekt unterhält.
Die Kulisse im Wien der Vorkriegszeit ist Seethaler hervorragend gelungen, und auch das Auftreten Freuds ist stimmig, wirkt authentisch und hat mir gefallen, obwohl ich alles andere als eine Anhängerin von Freuds Psychoanalyse bin und mit Zweifel und einiger Ablehnung auf die Person Freud schaue.
Durch die Liebesgeschichte zwischen Franz und Anezka und die damit verbundene Vermittlertätigkeit Freuds sowie die Freundschaft zwischen Freud und Franz, aber auch aufgrund der in den Roman einfließenden politischen Hintergründe hat mich Der Trafikant oft an Mit brennender Geduld von Antonio Skármeta erinnert, obwohl die Stimmung in Der Trafikant deutlich düsterer und unheilvoller als in Mit brennender Geduld ist.
Von Seethaler will und werde ich sicherlich mehr lesen!
Robert Seethaler: Der Trafikant. Ungekürzte Autorenlesung. tacheles!/ROOF Music, 2014; 19,99 Euro.
Dieser Post ist Teil meines Österreich-Monatsthemas im September 2019.