„Das schöne Leben von vorher ist tot.“
In Der Morgen als sie uns holten berichtet die Kriegsreporterin Janine di Giovanni von ihren Erlebnissen in Syrien nach der Revolution und nach Beginn des Bürgerkrieges. Sie bereiste hierfür verschiedene syrische Städte – Damaskus, Homs, Aleppo u.a. – und lässt vom Krieg betroffene Syrer von ihren Erfahrungen erzählen.
Der Morgen als sie uns holten ist kein Buch für zartbesaitete Leser, denn die Schilderungen der Gewalt gegen Männer, Frauen und Kinder sind oft kaum auszuhalten. Manchmal empfand ich die Geschichten der interviewten und unterwegs getroffenen Personen als so schlimm, dass ich dachte, ich könnte nicht mehr weiterlesen. Dennoch lohnt sich die Lektüre, denn sie ermöglicht es, dass man hautnah erfährt, was in Syrien vor sich geht und warum dies kein Land ist, in dem man leben und in dem man seine Kinder aufwachsen sehen kann.
Die Autorin erzählt in ihrem Buch die Geschichte Syriens und berichtet von denjenigen Ereignissen, die den Grundstein für die heutigen Probleme im Land gelegt haben: vom Verfall des Osmanischen Reiches, von Mandatsherrschaft und Unabhängigkeit, von Putschen und der Machtergreifung von Hafiz al-Assad, von seinem Sohn Baschar, von der Revolution und dem Bürgerkrieg.
Immer wieder lässt di Giovanni die Geschichte von Syrern einfließen, so dass man als Leser Einzelschicksale kennenlernt und dem Krieg ein Gesicht gegeben wird. Diese Schilderungen sind fesselnd geschrieben, machen betroffen und sind bisweilen regelrecht gespenstisch, weil es der Autorin gelingt, den Krieg auf allen fünf Sinnesebenen zu schildern. So erfährt man, was man im Krieg sieht, hört, riecht, schmeckt und fühlt – und dadurch, was genau Krieg für die Menschen vor Ort bedeutet.
Janine di Giovanni: Der Morgen als sie uns holten. Berichte aus Syrien. Aus dem Englischen von Susanne Röckel. S. Fischer, 2016, 256 Seiten; 22 Euro.
Dieser Post ist Teil des Levante-Monatsthemas im August 2019.