„Er steht da und wartet darauf, dass sie ihn abholen.“
Seit Josef Stalin die Opernaufführung von Lady Macbeth von Mzensk vorzeitig verlassen hat, scheint die Karriere von Dmitri Dmitrijewitsch Schostakowitsch beendet zu sein, und der Komponist wartet tagtäglich auf seine Verhaftung.
Aus Sorge um seine Familie und um seine Würde nicht verlieren, verbringt er seine Nächte wartend am Aufzug – vollkommen bekleidet und mit einem Köfferchen ausgestattet. Doch die Verhaftung bleibt aus, und schließlich wird ihm von Stalin persönlich der Auftrag erteilt, die UdSSR beim Kultur- und Wissenschaftskongress in New York zu vertreten. Als Gegenleistung wird das Verbot, seine Stücke zu spielen, aufgehoben, und Schostakowitsch beginnt, sich und seine Ideale zu verraten, um künstlerisch arbeiten zu können.
Ich habe mich schon sehr viel mit der Geschichte Russlands und der UdSSR beschäftigt und fand die Thematik von Julian Barnes‘ Der Lärm der Zeit somit sehr spannend. Obwohl das Buch durchaus sehr gelungene Passagen aufwies, konnte es mich letztendlich aber nicht richtig mitreißen.
Der Lärm der Zeit bietet sehr interessante Einblicke in das Leben während der Stalin-Ära und zeigt eindrucksvoll, wie Angst und Sorge, Verrat und Selbstverrat in einer Diktatur entstehen und genährt werden. Schostakowitsch selbst ist mir aber eigenartig fremd geblieben, und zudem fand ich die Beschreibungen des Komponisten wenig schmeichelhaft. Ich bin mir nicht sicher, ob dies von Barnes beabsichtigt war, ob die Beschreibungen tatsächlich die Persönlichkeit Schostakowitschs widerspiegeln bzw. ob Barnes Schostakowitsch so charakterisieren wollte, wie er es letztendlich getan hat. Auf mich wirkten viele Passagen eher hölzern und irgendwie stümperhaft, z.B. wenn Schostakowitsch versucht, Ausreden zu finden, um nicht nach New York reisen zu müssen. Beim Lesen konnte ich eigentlich fast nicht glauben, dass jemand die Dinge sagen würde, die Barnes Schostakowitsch in den Mund gelegt hat.
Insgesamt empfand ich die Beschreibungen der Personen sehr oberflächlich. Nicht nur Schostakowitsch wirkt schablonenhaft, auch Stalin wirkt wie ein trauriger Schatten seiner selbst: wenig charismatisch, kein bisschen furchteinflößend, insgesamt flach und unspektakulär.
Zudem war mir das Buch oft zu ausufernd und zu wenig fokussiert auf das Wesentliche. Mir fiel das Zuhören bisweilen sehr schwer, und ich bin mit meinen Gedanken immer wieder abgeschweift, weil Barnes mit seinen Ausführungen abgeschweift ist.
Das Hörbuch wird allerdings hervorragend von Frank Arnold gelesen; daran gibt es nichts zu kritisieren. Alles in allem hat mich die Geschichte dennoch kalt gelassen, obwohl die Thematik gut gewählt war und mir ausgewählte Passagen sehr gut gefallen haben.
Julian Barnes: Der Lärm der Zeit. Aus dem Englischen von Gertraude Krueger. Gelesen von Frank Arnold. Argon Verlag, 2017; 17,99 Euro.