„Heute morgen hatte Alisa sich vorgenommen nichts zu essen, und das hatte sie bis jetzt auch geschafft. […] Das könnte seit langem ein echt perfekter Tag werden. Natürlich hatte sie einen unerträglichen Hunger. Und irgendwie wäre es okay, etwas kleines Gesundes, etwas Erlaubtes zu essen, so wie früher, als das noch ging. Aber jetzt war das einfach nicht mehr möglich. Seit wann war das eigentlich schon so? Wann hatte es angefangen, so schlimm zu sein?“ (Seite 14f)
Alisa findet sich dick, hässlich und nicht liebenswert. Tagsüber hungert sie, abends bekommt sie Fressanfälle und erbricht die Unmengen an Essen, die sie in sich hineingestopft hat. Sie schämt sich und gerät immer mehr in einen Teufelskreis von Essen, Erbrechen, Scham und Verzweiflung.
Nach der Schule schreibt sich Alisa an der Uni für Kunstgeschichte und Italienisch ein, doch ihre Gedanken kreisen nur noch um Essen bzw. Nicht-Essen, um Nährstoffe und Ernährungsratschläge. Am wirklichen Leben nimmt Alisa kaum noch teil.
Schließlich gerät Alisa in einen Streit mit ihrer Mutter, und die beiden entfremden sich noch mehr voneinander als ohnehin schon. Alisa besucht keine Uni-Veranstaltungen mehr, verliert all ihre Jobs, hat keine Energie mehr für Hobbys, verliert den Kontakte zu ihren losen Bekannten, verbringt ihre Zeit schlafend, Serien schauend und Essen in sich schlingend.
Vor 2 1/2 Jahren habe ich Kukolka von Lana Lux gelesen und seitdem auf einen neuen Roman der Autorin gewartet. Nun ist endlich Jägerin und Sammlerin erschienen, und ich freue mich, dass mich dieser zweite Roman von Lux nicht enttäuscht, sondern – im Gegenteil – sehr begeistert und berührt hat.
Jägerin und Sammlerin liest sich schnell und flüssig, und Lux hat sich hervorragend in die Problematik eingedacht, wodurch ihr ein authentisches Zeugnis einer Essstörung gelungen ist und sie es schafft, dass sich der Leser in Alisas Geschichte, aber auch in die Lebensgeschichte ihrer Mutter einzudenken und einzufühlen.
Man kann Alisa genau bei ihrem Untergang zusehen, die Abwärtsspirale mitverfolgen, den Teufelskreis, in dem sie sich befindet, nachvollziehen. Das macht den Roman sehr eindrücklich, aber auch extrem bewegend und emotional belastend für den Leser – bei der Lektüre fühlt man sich bisweilen genauso hilflos ausgeliefert wie Alisa, leidet und fühlt mit ihr.
Gelungen fand ich auch die Darstellung der Beziehungsdynamik zwischen Alisa und ihrer Mutter, die Beschreibungen von Alisas Aufwachsen in einer Welt der ständigen Kritik, mit wenig Wärme und kaum Zuwendung. Auch der (Leidens-) Weg ihrer Mutter wurde von Lux überzeugend dargestellt und glaubhaft umgesetzt.
Jägerin und Sammlerin widmet sich einem tabuisierten Thema und erzählt eine berührende Geschichte. Lux zeigt hier, dass Kukolka keine Eintagsfliege war, und lässt mich sehnsüchtig auf den dritten Roman der Autorin warten.
Lana Lux: Jägerin und Sammlerin. Aufbau Verlag, 2020, 304 Seiten; 20 Euro.