„Ich soll eine Entschuldigung liefern, die ich vielleicht nicht ernst meine?“
„Das Kriterium ist nicht, ob du es ernst meinst. Das geht nur dein eigenes Gewissen etwas an, wie ich meine. Das Kriterium ist, ob du bereit bist, deinen Fehler öffentlich zuzugeben und Schritte zur Wiedergutmachung zu unternehmen.“ (Seite 77f, Fischer Taschenbuch 2004)
Südafrika in der Postapartheid-Ära: Der 52-jährige Literaturprofessor David Lurie lebt allein in Kapstadt und geht seit dem Scheitern seiner zweiten Ehe nur noch lose Beziehungen zu Frauen ein bzw. sucht Prostituierte auf. Da begegnet er der jungen, schönen Studentin Melanie, mit der er eine Affäre beginnt. Doch das Verhältnis zwischen den beiden dringt an die Öffentlichkeit, und Lurie wird wegen sexueller Belästigung angeklagt.
Lurie bekennt sich schuldig und muss aus dem Universitätsdienst ausscheiden. Er nutzt die Gelegenheit und fährt zu seiner Tochter Lucy, die allein auf einer Farm in der Provinz Ostkap lebt.
Eines Tages werden Lucy und ihr Vater auf der Farm von drei Männern überfallen. Lucy wird brutal vergewaltigt, ihr Vater wird angezündet, überlebt jedoch. Lucy spielt die Angelegenheit als Raubüberfall herunter und schweigt sich über die Vergewaltigung aus. Doch der Vorfall verändert ihr Leben und alles, was ihr wichtig war, komplett, und ihr Vater versucht, ihre Beweggründe zu verstehen und sie bei ihren Entscheidungen zu unterstützen.
Ich habe Schande vor 14 Jahren mit großer Begeisterung gelesen und nun nochmals das Hörbuch gehört.
Bisweilen ist es so, dass man mit vielen Jahren Abstand nicht mehr recht verstehen kann, wieso man damals so fasziniert von einem Buch war, aber bei Schande ist dies nicht der Fall. Im Gegenteil: Ich hatte beim Hören erneut das Gefühl, dass dem Literatur-Nobelpreisträger J.M. Coetzee mit dem Roman, für den er 1999 mit dem Booker Prize ausgezeichnet wurde, ein echtes literarisches Meisterwerk gelungen ist.
Neben der anspruchsvollen Sprache Coetzees und dem angenehmen Erzählstil mit detailreichen und lebendigen Beschreibungen fand ich die Spiegelungen in der Geschichte besonders ansprechend und faszinierend. Ähnliche Situationen wiederholen sich in der Geschichte an anderer, unvermuteter Stelle, z.B. die oft nicht einvernehmlich, sondern erzwungen, manipulativ, berechnend wirkende Affäre Luries mit der Studentin im Vergleich zur brutalen Vergewaltigung von Lucy. Überhaupt finden sich im Buch viele Gegensatzpaare, deren Konflikte näher beleuchtet werden: Alter versus Jugend, schwarz versus weiß, Frauen versus Männer usw.
Auch Christian Brückner, der Schande liest, trägt dazu bei, dass einem das Buch im Gedächtnis bleibt, denn seine markante Stimme interpretiert Coetzees Roman auf perfekte und überzeugende Weise.
Schande ist wirklich meisterhaft erzählt, und Coetzee ist meiner Meinung nach ein gutes Beispiel für einen Literatur-Nobelpreisträger, der sprachlich auf hohem Niveau schreibt, in seinem Text ein inhaltlich relevantes Thema verarbeitet und dennoch flüssig lesbar ist, fesselt, fasziniert und nicht zuletzt unterhält.
J.M. Coetzee: Schande. Aus dem Englischen von Reinhild Böhnke. Ungekürzte Lesung von Christian Brückner. Parlando, 2010; 16,95 Euro.
Dieser Post ist Teil des Südafrika-Themas im Juni 2018.
14 Jahre könnte es in etwa auch her sein, dass ich das Buch gelesen habe. Habe es gut in Erinnerung, leider aber kaum noch inhaltliche Erinnerungen 😉
Lieber Sören,
dachte ich auch, aber vieles (nicht alles) kam beim Anhören wieder. Magst du es mal wieder lesen, oder liest du Bücher eher nur ein Mal?
Liebe Grüße,
Romy
Liebe Romy,
dieses Buch habe ich auch vor vielen, vielen Jahren gelesen, aber ich fand es damals schrecklich und habe es sogar aus meinem Bücherregal verbannt. Jetzt bin ich ganz unschlüssig, ob ich es mit dem Hörbuch, nach so langer Zeit, wieder versuchen sollte. Mittlerweile habe ich mich ja auch weiter entwickelt. Es wäre interessant zu sehen, ob ich mit dem Buch heute was anfangen könnte.
Danke für die Erinnerung daran. 🙂
GlG, monerl
Liebe Monili,
weißt du noch, was genau du so schrecklich fandest? Mit manchen Autoren wird man ja einfach nicht warm, aber du hast schon recht, manchmal ändert sich das auch mit dem Alter. Liebe Grüße!
Moin Romy,
ne, ich weiß es leider nicht mehr. Es ist nur noch das Gefühl übrig, dass ich es gar nicht mochte. Ich glaube, ich werde einen zweiten Versuch wagen, und zwar mit dem Hörbuch. Mal schauen, ob es das als Download gibt. Ich würd echt gerne wissen, ob ich es heute anders empfinden werde.
GlG, monerl
Bin gespannt. Hoffe aber, dass du dann nicht enttäuscht bist, weil du dir extra noch das Hörbuch besorgt hast… Liebe Grüße!