„Ohne Gedächtnis sind wir nichts.“ (Luis Buñuel)
Im amerikanischen Original beinhaltet das Buch Memory Wall sechs verschiedene Geschichten von Anthony Doerr. Die vorliegende deutsche Ausgabe enthält jedoch nur die Novelle Memory Wall. Die restlichen Geschichten sind 2017 bei C.H. Beck unter dem Titel Die Tiefe erschienen.
Alma Konachek ist 74 Jahre alt, seit wenigen Jahren verwitwet und leidet seit drei Jahren an einer fortschreitenden Demenz. Sie lebt in einem Vorort Kapstadts und nimmt seit drei Jahren an einem Projekt von einem gewissen Dr. Amnesty teil. Hierfür wurden ihr Ports implantiert, die ihr das Wiedererleben ihrer eigenen Erinnerungen mittels aufgenommenen Kassetten ermöglichen.
Nacht für Nacht dringen zwei Männer in Almas Haus ein. Sie sind auf der Suche nach einer ganz bestimmten Erinnerung auf einer bisher unauffindbaren Kassette: die Erinnerung an die letzten Stunden von Almas Mann Harold, der kurz vor seinem Tod ein bedeutsames und wertvolles Fossil gefunden hat. Der Ort seiner Entdeckung ist nicht bekannt, aber die beiden Männer hoffen, durch Almas Erinnerungskassette einen Hinweis darauf zu erlangen.
Alles Licht, das wir nicht sehen von Anthony Doerr war eines meiner Lesehighlights 2015, und aus diesem Grunde war ich sehr gespannt auf die Novelle Memory Wall.
Die Stimmung im Buch ist anfangs sehr düster und unheimlich. Die Beschreibungen der Lebens- und Erlebenswelt von Alma mit ihren Fotos, den Gedächtnisstützen und den Aufnahmen ihrer Erlebnisse sowie die Schilderungen des zunehmenden Gedächtnisverlustes wirken authentisch – und dadurch bedrohlich, bedrückend und beängstigend. Trotz der ungewöhnlichen Idee mit den implantierten Ports, dem Stimulator und den Erinnerungskassetten wurde die Geschichte so realistisch umgesetzt, dass man dem Autor jedes Wort glaubt und die Begebenheiten nie in Zweifel zieht.
Sprachlich ist Memory Wall – genau wie Alles Licht, das wir nicht sehen – anspruchsvoll, und die Beschreibung von Personen, Handlungsorten und Situationen sind jederzeit überzeugend.
Memory Wall bietet eine spannende Geschichte, philosophische Betrachtungen über Erinnern und Vergessen sowie eine anspruchsvolle Sprache: ein schmales Buch, das sich schnell liest, das aber noch lange nachhallt.
Anthony Doerr: Memory Wall. Aus dem Englischen von Werner Löcher-Lawrence. C.H. Beck, 2016, 135 Seiten; 14,95 Euro.
Dieser Post ist Teil des Südafrika-Themas im Juni 2018.
Ein Gedanke zu „Memory Wall von Anthony Doerr“