
„Komorbidität festzustellen wird zur abstrakten Addition, ohne ein Gefühl für die Wechselwirkungen der Phänomene zu entwickeln. Mit dieser Haltung wird vor allem Unverständnis vermittelt und das Risiko der (Selbst-)Stigmatisierung verstärkt. Psychosen, Angststörungen und Depressionen werden addiert, anstatt die Angst aus der Psychose zu erklären und die Depression mit Genesung und Erschrecken in Verbindung zu bringen. Wir vergessen, was früher längst geläufig war, dass Symptome Hierarchien bilden, sich wechselseitig bedingen und teilweise auch erklären.“ (Seite 24f)
Thomas Bock und Andreas Heinz setzen sich in ihrem Buch sehr umfassend mit Psychosen auseinander. Sie diskutieren z.B. Diagnoseschlüssel, Krankheitsbegriff und die Rolle der Sprache, thematisieren Resilienz und Vulnerabilität, Grundformen der Angst, Bedeutung von Schamerleben, Sinnsuche, Recovery und Empowerment.
Im Anschluss stellen sie einzelne Phänomene vor und bieten Erklärungen und anthropologische Ansätze zum besseren Verständnis, z.B. für Stimmenhören, Ich-Störungen, Wahnstimmung und Minussymptomatik.
Weitere Abschnitte befassen sich mit Entstehungsbedingungen für Psychosen, mit therapeutischen Handlungskonsequenzen und mit nötigen Strukturveränderungen im psychiatrischen Hilfesystem.
Gwen Schulz ergänzt das Werk mit zwei Gastbeiträgen zur Suche nach dem Sinn ihrer Psychose und zur Bedeutung der Peerarbeit.
Ich beschäftige mich schon sehr lange und sehr intensiv mit Psychosen, habe sehr viel von Bock gelesen und möchte immer mehr über Psychosen lernen.
Ich habe monatelang an diesem Buch gelesen, weil es einfach voller Wissen und voller tiefgründiger Gedanken steckt, sehr zum Nachsinnen anregt. Es enthält unzählige spannende Aspekte im Zusammenhang mit Psychosen, war für mich sehr bereichernd, ermöglicht sehr tiefe Einblicke in die Welt von Psychoseerfahrenen, bietet interessante Impulse für (persönliche und/oder berufliche) Beziehungen zu Psychoseerfahrenen.
Wie von Bock gewohnt ist dieses Buch nicht nur respektvoll, entstigmatisierend und wertschätzend geschrieben, sondern auch recoveryorientiert, was mir alles sehr wichtig ist in meiner Arbeit im Bereich der Psychosenpsychotherapie.
Dies ist eine unglaubliche wertvolle Lektüre für alle, die sich wirklich intensiv mit Psychosen befassen möchten. Meiner Meinung nach ist es weniger für Betroffene und/oder Angehörige geeignet, sondern eher für besonders interessierte Behandler.
„Ich glaube, schizophren können nur Menschen werden, die einen Widerspruch erkennen, die in einen Konflikt kommen, die sich nach etwas anderem sehnen, sich etwas anderes wünschen, die etwas anderes wollen, die überhaupt etwas wollen und fühlen. Und dann entwickeln sie auch Symptome, weil es erst mal noch keine Lösung gibt.“ (Seite 156)
Thomas Bock und Andreas Heinz: Psychosen. Ringen um Selbstverständlichkeit. Psychiatrie Verlag, 2016, 336 Seiten; 50 Euro.