„Eine der Tragödien des früheren und heutigen schizophrenen Schicksals ist die rigorose ‚Wirf den Schlüssel weg‘-Endgültigkeit der selbsternannten Experten auf dem Gebiet. In der Vergangenheit wurden Patienten einfach in Hospitälern weggeschlossen, in denen viele von ihnen lebenslang blieben. Heute erleiden sie eher eine psychotropische Einkerkerung. Man hält es für notwendig, einen Weg zur Beseitigung ihrer Symptome zu finden. Dass das Symptom und die Person in vieler Hinsicht ein und dasselbe sind, und dass es passieren kann, dass die Medikation das Menschliche an ihnen ausmerzt, wird zu oft ignoriert.“ (Seite 19)
In Wenn die Sonne zerbricht erzählt Christopher Bollas von seinen Erfahrungen mit Kindern und Erwachsenen mit Schizophrenie, von bestimmten Aspekten des Denkens und Handelns sowie von der Psychotherapie der Schizophrenie.
Thematisiert werden z.B. auch blande Psychose, freie Assoziation, Laienanalyse, Prodrom, Stimmenhören und Konkretismus.
Ich habe eine starke Affinität zur Schizophrenie und beschäftige mich schon sehr lange damit. Ich selbst arbeite verhaltenstherapeutisch, habe aber trotz der Tatsache, dass Bollas Psychoanalytiker ist, zu Wenn die Sonne zerbricht gegriffen, da mir ein wertschätzender Umgang mit Betroffenen wichtiger ist als zu Zugehörigkeit zu einer bestimmten Therapieschule.
Ich empfand Bollas‘ Ausführungen insgesamt als respektvoll, und auch die ersten Schilderungen von Fällen haben mir gefallen, weil Bollas gut beobachtet und wenig interpretiert und analysiert hat. Gelungen fand ich anfangs auch, die einzelnen Fälle über den Verlauf der Behandlung hinweg zu verfolgen, und der Autor hat es im ersten Kapitel geschafft, seine exakten Beobachtungen gut in Worte zu fassen.
Den ersten Teil des Buches fand ich somit sehr gut, und ich fand es ebenso erfrischend wie wichtig, dass sich Bollas hier mit Deutungen zurückgehalten hat, denn das ist etwas, das ich bei der Psychoanalyse stets als großes Ärgernis empfinde.
Leider hat sich diese Enthaltsamkeit von wilden Assoziationen mit dem zweiten Kapitel gegeben, und ab hier fand ich Bollas‘ Buch zu interpretierend, sprachlich zu umständlich, inhaltlich zu vage. Und natürlich kommt auch hier irgendwann das psychoanalytische Dauerthema Sexualität auf – auch so eine Sache, die ich an der Psychoanalyse kritisiere.
Durch meine eigene verhaltenstherapeutische Prägung finde ich es recht schwer, das Buch zu bewerten, da meine größte Kritik die Psychoanalyse selbst betrifft. Ohne die vielen Abschweifungen und Vermutungen wäre das Buch ein wunderbares Beispiel dafür, die Schizophrenie auf wertschätzende Weise und mit Neugier zu betrachten, besser zuzuhören statt Symptome einfach eliminieren zu wollen.
Christopher Bollas: Wenn die Sonne zerbricht. Das Rätsel Schizophrenie. Übersetzung von Karla Hoven-Buchholz. Klett-Cotta, 2019, 259 Seiten; 28 Euro.